Sonntag, 11. Januar 2009, 23:40 Uhr

Erste Eindrücke aus Tel Aviv

Ab dem 7. Januar 2009 lümmelte ich im gelobten Land herum. Erste Eindrücke:

Flickr-Fotos (157 Stück)

  • Am Nachmittag lief einem andauernd Soldaten und Soldatinnen über den Weg. Es gibt mindestens zwei Uniformen: Die dunkel- und hellbraunen. Vermutung: Entweder handelt es sich um eine Unterscheidung zwischen Truppengattung oder Rang. (Danke, Gili!)
  • Wer insbesondere auf Mädels steht, die in Uniform und M16 rumlaufen, kommt hier auf seine Kosten (zugegebenermassen hat diese Konstellation für einen Zivilschützer seinen Reiz).
  • Im Ausgang kann man durchaus mit beurlaubten Soldatinnen ins Gespräch kommen. Ganz lustig wird es, wenn der Alkoholpegel steigt und gewisse Damen (gemäss eigener Aussage Offizierinnen!) sturzbetrunken „Fuck Hamas“ in die Gasse rufen.
  • Die jungen Leute verstehen und sprechen alle gut englisch – auch das Servierpersonal.
  • Bezüglich Indiviudalverkehr erinnert Tel Aviv stark an amerikanische Grosstädte: Alles mit dem Auto, und somit auch die davon hervorgerufenen Staus. Fragt sich nur, ob Israel all das Erdöl aus Norwegen importiert? Oder kann es das Land wirklich verantworten, Erdöl aus arabischen Staaten einzuführen (wahrscheinlich über Drittländer).
  • Wie beispielsweise auch in Los Angeles gibt es viele bediente Parkplatz-Felder – mitten in der Stadt, à la Vorplatz Reithalle (meistens etwas kleiner dimensioniert, wie beispielsweise an der Rothschild). Man bezahlt aber nicht am Automaten, sondern bei einer lebenden Person im Kassahäuschen.
  • Die Hupen haben hier eine deutlich geringere Halbwertszeit als in der Schweiz – wie auch die Geduld der Autofahrer.
  • Die meisten Autos weisen Beulen auf – die Szenerie erinnert an Frankreich und Italien.
  • Metro gibt es keine, die einzige Zugverbindung führt am Stadtrand vorbei. Der Bus ist das öffentliche Fortbewegungsmittel – mit unzähligen Linien.
  • Neben Bussen und Taxis scheint es noch ein drittes Fortbewegungsmittel zu geben: Ein Zwischending à la Minibus mit ca. 10 Sitzplätzen.
  • Die Ausstattung und der Zustand der Züge mag bei einem verwöhnten Schweizer nur ein müdes Lächeln hervorrufen: Dieselloks und uralte Wägen bieten kaum Reisekomfort.
  • Kondukteur gibt es keinen – Tickets werden analog zu U-Bahnen wie Paris beim Bahnhofseingang entwertet und müssen beim Verlassen der Zieldestination erneut in den Ticketfresser eingeschoben werden.
  • Am Eingang zu Bars und Restaurants steht in den allermeisten Fällen ein Türsteher, der ganz penibel in Taschen schaut. Könnte ja eine Bombe drin sein …
  • Strassen sind in hebräisch, arabisch und Englisch angeschrieben.
  • Natürlich aber nicht die Restaurants (auch wenn sie oft über englischssprachige Aushänge und Menus verfügen). Deshalb lieber die Strassennummer notieren und sich danach orientieren.
  • Tel Aviv ist teuer.
  • An Sabbat liegt das halbe Land lahm. Gemäss einem Taxi-Fahrer eine Konzession der Politiker an die orthoxen Juden, die 20% des Parlaments stellen. Viele Läden schliessen bereits Freitag-Nachmittag. Da es den orthodoxen Juden verboten ist, sich am Sabbat zu betätigen, halten Lifte in Hotels in jedem Stock.
  • Bezüglich der Partystadt Tel Aviv scheint es saisonal bedingte Unterschiede zu geben: Im Januar scheint weniger los zu sein als im Hochsommer.
  • Von den 130mm Niederschlag im Januar habe ich kaum einen Tropfen gespürt (von vier Tagen waren dreieinhalb ohne Regen).
  • Wer schon lange nicht mehr gejoggt hat und es als optimalen Anlass findet, endlich wieder mal einem Strand entlang zu laufen, muss am nächsten Tag mit enormem Muskelkater rechnen.
  • Als Tourist beginnt man sich nach einiger Zeit zu fragen, welche Person denn nun ein eingewanderter Osteuropäer ist, wer Araber, wer Mischling usw.
  • Von orthodoxen Juden sieht man in Tel Aviv nicht viel.
  • Kindergärten scheinen unterteilt zu sein – in orthodoxe und „normale“. Gemeinsam haben sie aber Plasticverhänge oder gar Stahlplatten an den Zäunen, die den Innenhof abgrenzen. Aussenstehende erhalten so kaum Einblick auf die Spielplätze – wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen.
  • Die Leute sind (im Januar? während dem Krieg?) nicht unbedingt freundlich – Hotel-Angestellte und 24h-Shop-Kassier machten den schlechtesten Eindruck auf mich. Andererseits sind Servierpersonal und Bekanntschaften dann doch sehr rasch auskunftsfreudig – man muss aber das Eis brechen und auf sie zugehen. Der Taxifahrer, der mich zum Flughafen zurück führte, war die offenste Person, die ich kennengelernt habe.
  • Als Mann ist es kein Problem, alleine in der Stadt herumzugehen – egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Nie wurde ich von jemanden angehalten oder angepöbelt. Vielleicht hatten sie ja auch einfach Angst vor mir …
  • „Schweiz“ spricht man auf Hebräisch wie „Schwyz“ (Kanton) aus. Die Israelis, mit denen ich länger gesprochen habe, kennen das Land, zwei von drei waren auch schon dort.
  • Es gab sehr viele junge US-Amerikaner – sowohl bei der Einreise, als bspw. auch beim Besuch der Independence Hall oder am frühen Abend auf den Gassen.
  • Israel ist einer der wenigen Orte, wo man sich wohl auch noch mit Französisch durchschlagen könnte.
  • Zur Orientierung in der Stadt lässt man sich an der Reception einen faltbaren Stadtplan aushändigen (denjenigen vom Israel Diamond Center)
  • Bei der Suche nach Restaurants verlässt man sich besser auf die Strasse und die Strassennummer – nicht jedes Lokal ist auch auf Englisch angeschrieben.

Selbstverständnis

Besucht man Museen und Ausstellungen, so wird einem schnell klar, wie sich der Israeli, oder zumindest der Tel Aviver sieht: „Wir haben das Land hier urbar gemacht, eine Metropole gebaut – das ist unsere Legitimation, das ist unser Stolz.“ Das Schicksal – oder neutraler: die Rolle – der palästinensischen Bevölkerung wird dabei oftmals ausgeblendet (in einem Video, das mir in der Independence Hall gezeigt wurde, fand diese Bevölkerungsgruppe kaum sichtbar Erwähnung).

Was mir als Historiker aufgefallen ist, der sehr gerne alte Fotografien betrachtet (Independence Hall, aber auch bei einer Architektur-Ausstellung im Shalom Tower): Bei der Verlesung der Unabhängigkeit 1948 habe ich auf den Fotos keine orthodoxen Juden gesehen. Die Leute auf den Bildern schienen mir mehrheitlich dem intellektuellen Bürgertum zu entstammen, in Anzug und Hut gekleidet.

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