Montag, 30. Januar 2006
Arena
Als ich in der Nacht von Freitag auf den Samstag in aller Herrgottsfrühe die Wiederholung der Arena Swisscom: Streit um die Zukunft auf mich einplätschern liess, fiel mir vor allem eines auf: Prof. Jäger flippte fast aus (1:19:00). So energisch habe ich ihn noch nie gesehen – wenn ich auch zugeben muss, dass ich ihn auch noch nicht viel im Polit-Kolosseum wahrgenommen habe. Zurück zur Swisscom: Alles nur, weil die Vordenker der Nation mal wieder eines ihrer „wir-wollen-doch-auch“ Liberalisierungs-Opfer gefunden haben. Beim Strommarkt hat’s nicht hingehauen, doch die Stamina der Neoliberalen ist unerschöpflich: Erst wenn der letzte Ziegelstein des Bundeshauses privatisiert ist, geben sie Ruhe.
Gut, dass darauf eine Unia-Gewerkschafterin dem streitbaren HSGler den Wind aus den Segel nahm:
[Walliser Dialekt] Ich freg: Übernimmt de d’Wirtschaft d’Verantwortig für die ganzu Arbeitslosu wo durch d’Privatisierung uf d’Strass chumund? Da muess de wieder dr Staat ispringu […] Solang [d’Schwiz?] immer ds Gäld ob dum Mänsch gstellt het, solang wird ds Volch das ablehna, da bin ich überzugt.
Quelle: Susanne Hugo-Lötscher an Franz Jäger, Arena, 27. Januar 2006, 1:20:00.
Eine Grundsatzfrage, die wirklich sehr reizvoll ist. Wie begründet die Volkswirtschaftslehre diese für Unternehmen „vorteilhafte“ Lastenteilung? Dennoch finde ich, dass auch Staatsunternehmen Leute entlassen dürfen, ja sogar müssen, wenn zwecks Produktivitätssteigerung weniger Leute mehr leisten können (aber damit meine ich nicht: 80% der Belegschaft erledigen mit Stress und Überstunden 120% der Arbeit). Oder wollen wir wirklich, dass Angestellte sich an ihrem Arbeitsplatz mangels Aufgaben einer stundenlangen Solitär-Session hingeben?
Markenzeichen
Auch NZZaS-Kolumnist Frenkel nimmt sich der Diskussion an. Hier einige Auszüge:
Da gab’s doch einen Bundesrat, der gegen bundesrätliches Engagement in Abstimmungskampagnen wetterte, oder? […] Ich staunte deshalb nicht schlecht, als derselbe Christoph Blocher vor einigen Tagen hinging und die Idee in die öffentliche Diskussion warf, einen Teil der Swisscom-Aktien gratis an die Bürger zu verteilen. Das offensichtlich, um die wenig chancenreiche vollständige Privatisierung des Telefonunternehmens den Mannen und Frauen souverän schmackhaft zu machen.
Abgesehen, dass Blocher permanent mit zwei Seelen in seiner Brust (oder einer waschechten Schizophrenie?) zu kämpfen hat, erachte ich das Vorhaben auch als chancenlos. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hat das Kapital und die Musse, mit Aktien zu handeln. Dem Rest erscheint der Wertpapierhandel als Buch mit sieben Siegeln. Dies zeigt wieder einmal, wie wenig die liberalisierungsgeilen Politiker die Perspektive von Otto Normalverbraucher einnehmen können: Propagandamässig hätte man kaum von Aktien, viel eher mit einer Barauszahlung (Slogan: „1200 Stutz bar auf den Laden“), Bussenerlass („Der Bund schenkt Ihnen den nächsten Führerausweisentzug“) oder Freibier („Am 1. August 2007 für jeden Einwohner ein 30l-Fässli frei Haus“) werben sollen. Tjach, aber so, meine Herren, wird das nichts.
Ebenso problematisch ist die Idee des Volksvermögens. Das Volk steht ja nicht nur auf der Aktivseite der nationalen Buchhaltung, sondern auch auf der passiven. Denn irgendjemandem „gehören“ auch die rund 320 Milliarden Verschuldung der öffentlichen Hände insgesamt. Wer so tief in Schulden steckt, müsste zunächst diese abbauen, bevor er Vermögensbestandteile verschenkt.
100 Punkte. Was zwei Jahre Bundesratsmitgliedschaft nur aus einem machen kann …
Er [Christoph Blocher] hätte das [Verschenken der Aktien] besser nur gedacht und nicht gesagt.
An dem Tag, an dem der Chrigu schweigt, ist irgendetwas ganz fürchterlich schief gelaufen.
Quelle: NZZaS, 29. Januar 2006, Markenzeichen, S. 29.
Nicht verzagen, think eMeidi fragen
Wie weiter? Wir akzeptieren, dass wir den Zeitpunkt für eine (erfolgreiche) Privatisierung der Swisscom verpasst haben. Im heutigen europäischen und globalen Umfeld kann die Swisscom privat nicht überleben und würde über kurz oder lang (wohl eher kurz) irgendwo hin verschachert und ausgeweidet.
Falls man das wirklich will (man weiss ja nie), sollte man vorher die Fixnetsparte in ein separates Bundesunternehmen ausgliedern und die Leitungen dann allen willigen Anbietern vermieten. Zu einem Preis, der auch zukünftige Investitionen ermöglicht. Anstelle dass jeder Anbieter seine eigene Leitung von A nach B zieht, benutzt man ein und dieselbe Leitung – rein wirtschaftlich gesehen, da muss auch der Franz von der HSG beistimmen, kommt eine „dicke Leitung“ billiger als vier kleine.
Wie dem auch sei: Die Swisscom kann auch als „kleines“ schweizerisches Unternehmen im Binnenmarkt bestehen. Davon bin ich überzeugt. Vor langer, langer Zeit war es eine typisch schweizerische Tugend, Bescheiden zu bleiben. Spätestens seit Vasellas Millionengage haben wir diese zu Grabe getragen.
Guet Nacht!