Sonntag, 7. Mai 2006
Auf Grund den sich in Riesenschritten nähernden Jubiläums meiner (zur Zeit diesen Namen eigentlich gar nicht verdienenden) Beziehung (ich habe im ersten Anlauf gerade „Bedienung“ getippt – ein Freudscher Vertipper?) trifft sich gut, dass die heutige NZZ am Sonntag just zur Feier des Tages einen Liebes-Artikel mit sich bringt.
Der Anlass
Vier lange (sorry: „kurze“, sonst gibt’s Krach *grins*) Jahre – 8. Mai 2002 bis 8. Mai 2006 – haben Melanie nun also auf dem „Buckel“. Wobei ich bei ihrer Rückkehr aus Afrika (irgendwann nach Juni 2006) den Antrag stellen werde, das „verlorene“ Jahr abzuziehen. Aus der Zeitrechnung zu tilgen. Offiziell für „nicht stattgefunden“ zu erklären. Nicht zuletzt, um dem drohend näherrückenden verflixten siebenten Jahr (so Gott will) ein Schnippchen zu schlagen, es also noch etwas hinauszuzögern.
Meine zu karge Gefühlswelt?
Nun gut, Leute, die mich näher kennen, wissen, dass ich definitiv nicht von Gottes Prototypen abstamme, der Sensibilität, Romantik, Zuneigung, Kuschelfaktor (vgl. für die aktuellste, sich dauernd im Fluss befindliche Liste Cosmopolitan, Anabelle, emma oder gar Akut), mit sich bringt.
Der viel gepriesene „neue Mann“ ist für mich ein Fremdwort. Ja, desöfteren wurde ich bereits mit einem Trampeltier verglichen und mir so jegliche Verwandtschaft mit der Menschheit abgesprochen. Ich bin Version 1.0 von Mann, vielleicht sogar noch ein Vor-Serienmodell. Ein Single-Task-Geschöpf, wie Kollege Belina letzten Freitag empirisch herausfand. Gemäss Lehrmeinung für die heutige Welt also gänzlich ungeeignet.
Ich persönlich bin der Meinung, sowenig wie möglich, aber soviel wie nötig von den oben genannten Eigenschaften mitbekommen zu haben.
Wenn die Flamme erlischt …
Nein, das ist keine Andeutung zwischen den Zeilen bezüglich meines Liebeslebens. Aber wenn man über Liebe bloggt, ist auch der Herzschmerz nicht weit. Deshalb muss ich es hier erwähnen, obwohl ein Jubiläums-Artikel ja nur Positives enthalten sollte.
Ob man sich für eine gewisse Gefühlskargheit entschuldigen muss? Es erscheint mir manchmal so, wenn mir Gesprächspartner meinen (nicht immer todernsten) Statements mit offenem Mund begegen. Sorry, dass bei meiner Erziehung oder Entwicklung etwas schief gelaufen ist. Um ehrlich zu sein: Es lebte sich damit die letzten 25 Jahre recht ansehnlich, insbesondere dann, wenn wieder einmal ein unglücklicher Zeitgenosse (darin ist auch die weibliche Form enthalten) die Liebe seines Lebens entgleiten sah.
Anstelle in den Erinnerungen und Gefühlen der tollen, verflossenen Zeit zu baden, beschränkt man sich heute nach Trennungen darauf, mindestens ein halbes Jahr seinen Kollegen allabendlich vorzuflennen, was man gut, was man falsch, was der Partner gut, was er falsch gemacht hat (Schwerpunkt: letzteres). Nirgends ist man sicher: Spricht man mit einem solchen Beziehungs-Opfer, am Telefon, per ICQ, per SMS – jederzeit besteht die latente Gefahr, dass das Thema aus den dunkelsten Orten der Verbannung hervorkriecht. Und es tut es fast jedes Mal. Dabei war man selber doch derart darauf bedacht, jedes Wort vor der Aussprache auf die Waage zu legen, um dem Gegenüber ja kein Anhaltspunkt zu bieten, um wieder auf das ewigselbe und nach ein, zwei Wochen aller Welt bekannten Klagelied einzustimmen. Solchen Leuten sei angeraten, sich dem Einsiedlertum zu widmen und erst dann zurückzukehren, wenn sie geläutert sind.
Zum eigentlichen Artikel
Nicht zuletzt deshalb wohl fand ich – auf die Gefahr hin, das Jubiläum mit wenigen Worten zum letzten seiner Reihe zu machen und von allen weiblichen Geschöpfen auf diesem Planeten für immer und ewig in die sympathie-technische Verbannung geschickt zu werden – den Artikel gut, sehr gut sogar.
Hier einige Ausschnitte:
Zu den leisen Freuden der späten Jahre, des Lebens goldenem Hochsommer sozusagen, gehört, dass die Bekannten weitgehend vernünftiger werden. Oder sich selber entsorgen durch vollends verblödete Lebensentwürfe. Die, die bleiben also, fallen dadurch angenehm auf, dass sie nicht mehr nächtelang von Liebesquatsch erzählen.
Ich geb’s ja zu, am Anfang verfällt wohl jeder in diese Phase. Sie trübt den Geist stärker als ein Vollsuff, führt zu permanent roten Ohren, einem Tunnelblick, einer Laissez-Faire-Attitüde, der rosaroten Brille, Flugzeugen im Bauch, Gedankenblockaden und all den anderen Errungenschaften, die in uns die Natur (nicht völlig uneigennützig) hervorruft. Zu einem temporär unbrauchbaren Menschen, sozusagen. Der Mai 2002 war in dieser Hinsicht wirklich intensiv *smile*
Die Verklärung der grossen, romantischen Liebe ist ein Privileg der dummen Jugend. […] Noch bedauernswerter allerdings, wenn aus den tapsigen Jugendlichen alte Säcke geworden sind, die immer noch ihrer eigenen und Hollywoods Idiotie auf den Leim gehen und nach der grossen Liebe suchen.
In meinem Kollegenkreis hat sich intern der Spruch „die Liebe des Lebens suchen“ eingebürgert, wenn eines der folgenden Kriterien zutrifft: a) Raclette-Party zu Hause bei einem Kollegen. Der Wein fliesst in Strömen, alle haben’s lustig, alle sind satt, man berichtet, hat die Uhrzeit längstens aus den Augen verloren, es könnte noch stundenlang so weitergehen. Doch dann betritt der Übeltäter die Bühne, im Hinterkopf die Absicht, die Gruppe zu einem Aufbruch an eine öffentliche Festivität zu bewegen, weil die erhoffte Liebe des Lebens noch irgendwo dort herumlungern soll. Die gute Stimmung wird durch Hektik ausgetauscht, der Tross verschiebt sich an den Zielort, um danach nur zu realisieren, dass man wohl lieber zu Hause geblieben wäre. Und es kommt noch schlimmer: Der Übeltäter findet die Liebe des Lebens nicht!
Oder: b) An einem Abend von Party zu Party fahren (das Automobil macht es möglich) und nicht einsehen, dass die Festlichkeiten immer schlechter werden. Unbeirrt wird man angetrieben von der unausgesprochenen Hoffnung auf das Treffen mit dem Seelenverwandten.
Berichtet mir jemand […] mit über vierzig immer noch von Auflösung, nach der er sich sehnt, nach Leidenschaft und Unendlichkeit, kann ich nur sehr glasig schauen. […] Nach vierzig Wiederholungen sollte auch jeder mässig intelligente Tropf begriffen haben, dass das, was uns allen als grosse Liebe verkauft wird, nichts weiter als eine biologische Laune der Natur ist, um die Art am Leben zu erhalten. […] Bitte, wer sich unglücklich machen will, kann weiter von romantischer Liebe faseln und alleine bleiben.
Da habe ich nichts zu ergänzen.
Die anderen […] haben sich meist in etwas eingefunden, das als Zweckgemeinschaft verurteil wird. Von wem? Vom kitschigen Volksempfinden. Was soll falsch an einem Zweck sein? […] Der Zweck einer Zweckgemeinschaft ist doch, nicht mehr sinnlos alleine in den Fernseher zu stieren, sondern jemanden zu haben, dem man seine eingerissenen Zehennägel zeigen kann […] Ist das Liebe? Unbedingt. […] Der Zweck der Zweckgemeinschaft ist: jemanden lieben lernen. […] Denn man kann viele Leute lieben, wenn man sie erst mal kennen gelernt und sich an sie gewöhnt hat.
Im Mai 2002 war ich über alle Ohren in Melanie verliebt, mittlerweile liebe ich sie (ein Unterschied aus meiner Sicht).
Obwohl dies ein schönes Schlusswort wäre, geht der Artikel noch weiter. Ich kann ihn nicht vorenthalten:
Der Rest, die Liebe, würde sich mit der Zeit einstellen. Und sehr oft ging dieses Konzept [arrangierte Heirat] auch auf.
Die verquastete Liebesidee der Neuzeit kann andererseits nicht als Erfolgsmodell bezeichnet werden. […] Freunde werden meist erst nach einigen Jahren wirklich zu Freunden. Wenn man sich an sie gewöhnt hat, wenn man sich mit iihnen entspannt und sich traut, ihnen alle Launen zuzumuten.
So würde ich den Wechsel von Verliebtheit zu Liebe charakterisieren – alle Launen zumuten. Das ist das Kernelement!
[…] und so zieht man zusammen mit einem wildfremden Menschen und erwartet, dass die Anfangseuphorie die Kiste trägt. Meist erwachen die Menschen nach zwei, drei Jahren aus ihrer Idiotie neben einem normalen Menschen und rennen davon, weil sie die Euphorie wieder haben wollen, und meinen den Menschen, der da schnrarcht, nicht zu lieben […]
Um ehrlich zu sein: Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, jemals mit einer Frau zusammen zu ziehen. Schrecklich, nicht?
Darum ein kleines Lied auf die Zweckgemeinschaft, sie macht Menschen ausgeglichener und zufriedener. […] Nicht die grosse Leidenschaft, sondern die freundliche, wohlschmeckende Vertrautheit lässt uns genüsslich schmatzen. Austoben kann man sich im Fitnessraum.
Ich persönlich habe wirklich das Gefühl, dass seit Melanie weg ist ich wieder mehr Kanten aufweise, aggressiver bin, unausgeglichener. Zufall?
Quelle: NZZaS, 7. Mai 2006, „Liebe ist gut, Vernunft ist besser. Nicht die Leidenschaft, sondern die wohltemperierte Zweisamkeit macht uns zu glücklicheren Menschen. Ein Loblied auf die nutzenorientierte Partnerwahl.“, S. 87.
Fazit
Ich freue mich also angesichts der wohlklingenden Ausführungen von Sybille Berg, diesen heutigen Tag nicht derart stürmisch, gefühls- und triebbetont zu feiern wie unser erstes Zusammentreffen vor vier Jahren. Um ehrlich zu sein, vermisse ich weniger die körperliche Zuneigung, als viel eher die traute, stabilisierend wirkende Zweisamkeit. Die unzähligen Stunden zu zweit, von denen ich rückblickend den grössten Teil nicht mit etwas konkretem in Verbindung bringen kann. In einigen Wochen habe ich dich zurück *froi*.