Sonntag, 11. Juni 2006
Eine kürzlich veröffentlichte Studie gibt Auskunft, wohin die aktuellen Probleme meines Studienbereiches liegen und wo die Fakultäten hindriften:
Perspektiven für die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Schweiz: Lehre, Forschung und Nachwuchs.
Einige Ausschnitte:
In den Geistes- und Sozialwissenschaften unterrichtet heute ein Sechstel des gesamten Hochschulpersonals (Vollzeitäquivalente) 40 Prozent der Studierenden in Lizentiats, Diplom-, Bachelor oder Masterstudiengängen.
Die Anzahl der Studierenden des Fachbereichs „Historische und Kulturwissenschaften“ hat sich [zwischen 1980-2004] etwa verdoppelt, während die Anzahl der Studierenden der „Spach- und Literaturwissenschaften“ nur leicht zugenommen hat.
Manches liesse sich scheinbar durch eine Schrumpfung des Universitätssystem oder eine Reduktion des Angebotes der Studienplätze in den hier interessierenden Wissenschaften „lösen“, etwa durch Zugangsbeschränkungen und eleminatorische Prüfungen bei Studienbeginn.
Da Geld vom Bund auch in den nächsten Jahren spärlich fliessen wird, empfinde ich diese zwar nicht als beste, aber als zur Zeit geeignetste Lösung des Problems. Am Ende kommen lieber wenige, qualitativ hochstehnde Absolventen heraus, als eine grosse Menge mittelmässiger Lizentianden.
Zur Debatte gestellt wurden die negativen Aspekte der in den Deutschschweizer Universitäten erkennbaren Fokussierung auf den Lehrstuhl und das Institut im Vergleich zur Departementalisierung, die sich anderswo zu bewähren schien.
Dies ist in der Tat – nach eigenen Erfahrungen – ein grosses Problem. Ich sehe nicht ein, wie der hier herrschende Wettbewerb um das knappe Gut „Geld“ gesundend wirken sollte … Es ruft negative Eigenschaften hervor: Neid, Missgunst. Zu viel Energie wird verschwendet, um sich das nötige Geld zu erkämpfen.
Offensichtlich fehlten „Instrumente“, die die Leistungen der Geistes- und Sozialwissenschaften zu erfassen vermochten.
Hier nähern wir uns dem Kernproblem: Den meisten Bürgern ist nicht klar, was sich hinter „Geistes- und Sozialwissenschaften“ versteckt. Und da es schon beim Begriff scheitert, kann man auch nicht davon ausgehen, dass irgendjemand versteht, was wir machen.
Und so schlittern wir geradewegs in die Diskussion, welchen wirtschaftlich fassbaren Nutzen diese Wissenschaften bieten (heute misst man ja nicht nur die Landwirtschaft, das Sozialsystem, die EU und alles andere mit ausschliesslich wirtschaftlichen Massstäben). Und hier haben wir wirklich ein grosses Problem: Die betroffenen Wissenschaftler selber müssten der breiten Öffentlich aufzeigen, was der kurz- (hier wohl eher: längerfristige) Nutzen der Forschung ist. Schliesslich sind die Personen, die am nächsten „dran“ sind, wohl am geeignetsten, Werbung für das Fach zu machen. Bei einer „soften“ Studienrichtung ein sehr heikles Unterfangen. Charakterisierend dafür ist wohl auch, dass auch wir Studenten (jedenfalls ist es bei mir so) selbst noch nicht ganz aufgeklärt wurden, was die erklärten Ziele der Wissenschaft für den Kanton, die Nation und die Menschheit sind.
Ich erinnere mich an das Zitat eines SVP-Politikers, das in einigen Büros unseres Instituts hängt, der die Geistes- und Sozialwissenschaften gerade mangels Rendite abschaffen möchte. Eine sinnvolle, gut argumentierte, leicht verständliche Replik habe ich noch nirgends gesehen. Wahrscheinlich sind kritische (populistische?) Aussagen schneller gemacht, als sie dann widerlegt werden …