Freitag, 3. November 2006
Da fahre ich also letzten Dienstag-Abend mit meiner „Pfeffermühle“ (Zitat Don Lo, weil Peugeot u.a. Pfeffermühlen herstellt) über Basel nach Colmar, um meine Freundin in ihrer WG mitten im malerischen Altstädtchen zu besuchen, und höre so – ausnahmsweise – einmal Radio. DRS1 natürlich, denn die „besten Hits aus den 70er, 80er, 90er und heute“ auf allen Privatsendern vom Genfer- bis zum Bodensee hängen mir zum Hals raus.
Wie es der Zufall so will, schalte ich gerade rechtzeitig zu Beginn der Sendung Doppelpunkt zu und komme so in den Genuss einer Sendung über ein utopisches Thema: Dem „bedingungslosen Grundeinkommen“. Ich höre zum ersten Mal davon, das Thema ist aber durchaus sehr reizvoll: Jeder Bürger erhält vom Staat ein Grundeinkommen zugesichert, von Geburt bis zu seinem Ableben – quasi ohne Gegenleistung. Steuern werden keine mehr bezahlt, die Finanzierung des Systems wird ausschliesslich über die Mehrwertsteuer sichergestellt (Höhe: 100% – unbedingt Ausführungen bei 16min30 anhören). Damit würden die vielfältigen Sozialversicherungen obsolet – alle Leistungen würden durch dieses eine Grundeinkommen abgegolten. Über die Machbarkeit äussert sich übrigens auch ein kopfrechnender Ökonomieprofessor gegen Ende der Sendung (22min 40sec). Dieses Verhalten zeigt auch gerade, welchen Stellenwert dieser Vorschlag beim Akademiker hat: Er macht sich gar nicht mal die Mühe, die Idee gründlich nach wissenschaftlicher Manier durchzurechnen …
Gewisse Leser stehen bereits jetzt die Haare zu Berge. Ich persönlich finde den Vorschlag faszinierend. Nicht unbedingt wegen meinem Parteibüchlein, sondern eher, weil das mich an gesellschaftliche Umbrüche wie den Liberalismus oder den Sozialismus erinnert. Haben auch diese Strömungen auf ähnliche Weise begonnen? Wie erreichte der Liberalismus schlussendlich seine Akzeptanz, obwohl er doch zu Beginn sicherlich von vielen Kreisen als Hirngespinst verspottet wurde?
Die Idee – sozusagen die Weltwoche im Ideenpool, ganz nach dem Motto: Hauptsache gegen den Strom, Hauptsache das Gegenteil sagen, was der Rest so herausposaunt (ob es dann auch stimmt, ist nebensächlich).
Aber ja, ich gebe es ja auch zu: „There is no free lunch!“ Mir geht es weniger darum, die Idee nun zu zerpflücken oder zu untermauern, sondern mich fasziniert der Querschläger – das Konzept steht dermassen quer in der Landschaft.
Wer also gerade ein Stündchen zur freien Verfügung hat, höre mal rein:
Grundeinkommen für alle: Utopie? (RealAudio, 57min) – Seite zur Sendung
Abgesehen davon …
Wenn auch die Idee in unserer liberalen Leistungsgesellschaft sauer aufstösst – einige Dinge liessen mich dennoch nachdenken. Zum Beispiel:
„Wir vertrauen darauf, dass jeder am Besten weiss wo er sich einbringen kann und will nach seinen Neigungen und Interessen. Wo er die Freiheit hat, dies zu tun, ist die Chance am grössten dass etwas sinnvolles herauskommt.“
Quelle: Doppelpunkt: „Grundeinkommen für alle: Utopie?“, Interview mit Sacha Liebermann, bei 2min48sec
Wohl ein typisch netter Linker. Vertraut in das Gute in jedem Menschen. Dabei sehen wir doch tagtäglich, dass das Böse ebenso in uns lauert und nur allzu rasch entfesselt wird. Die Frage ist einzig, ob das Böse vielleicht verstärkt zum Vorschein kommt, weil die Leute eben gerade über kein gesichertes Grundeinkommen verfügen? Andere wiederum sehen gerade diesen Mangel an (Überlebens)Sicherheit als Ansporn für den (wirtschaftlichen) Fortschritt – der Mensch läuft dann zu Höchstleistungen auf, wenn man ihm das Messer an die Gurgel setzt.
Das mag durchaus sein, doch ich bin der Meinung, dass unter diesem Druck eventuell falsche Prioritäten gesetzt werden. Prioritäten, die nicht primär die ganze Menschheit voranbringen, was meiner Meinung nach das hehre Ziel unserer Zivilsation sein sollte. Kleines Beispiel: Gäbe es heute Kunst, wenn die Arbeitsteilung nicht erfunden worden wäre und die Künstler in Folge darauf verzichten konnten, auf die Jagd zu gehen? Welchen unmittelbaren Nutzen leisteten Künstler für die Gemeinschaft?
Der zunehmend unmündige Bürger
Im Grunde ist es ja paradox: In unserem System, basierend auf den Prinzipien der Aufklärung und des Liberalismus‘, wird entgegen der Theorien der grossen Denker dem Bürger (jedenfalls den hilfsbedürftigen unter ihnen) abgesprochen, Gutes im Schilde zu führen. Doch gerade die Aufklärung („sapere aude!“) wie auch der Liberalismus („unsichtbare Hand“) vertrauen ja eigentlich darauf, dass der mündige Bürger seines Glückes Schmied ist. Aus dem Glück des Einzelnen folgt automatisch das Glück für die ganze Gesellschaft. Arbeitslose, IV-Bezüger, Ausländer – alle sind sie heute dagegen abgrundtief böse, handeln aus unlauteren Motiven. In der Richtung sieht es Historiker Nolte:
Auf die Mündigkeit der Bevölkerung, so viel steht für Nolte fest, sei kein Verlass. Dass sich die Bürger auf der Basis eines Grundeinkommens besonders gesellschaftlich engagieren oder – ohne existenziellen Druck – auf die Suche nach mehr Chancen im Leben gehen würden, glaubt er nicht. „Das kriegen die Leute kulturell nicht geregelt“, sagt er. Kein Zweifel: Nolte hält das Gros der Bevölkerung für faul und willenlos. Die Masse entwickle Engagement bestenfalls darin zu fordern – stets Neues und immer mehr.
Quelle: brand eins 7/2005, „DER LOHN DER ANGST“
Wer Arbeitslose kennt, weiss, dass das nicht ganz stimmen kann – klar, es gibt Missbrauch (kein Wunder, wenn der hiesige Bürger ja nicht einmal fähig ist, sich an Geschwindigkeitslimiten zu halten), es gibt auch Leute, die sich pudelwohl fühlen, permanent am Tropf des Staates zu hängen. Doch die meisten sind und werden in ihrer Position nicht glücklich.
[…] Spaltung zwischen denen, die noch Arbeit haben, dafür aber häufig soviel, dass sie permanent im Stress sind, und denen, die ohne Arbeit zu Hause herumsitzen und sich als Verlierer der ganzen Modernisierung und Globalisierung fühlen.
Quelle: Doppelpunkt: „Grundeinkommen für alle: Utopie?“, Moderator, bei 9min50sec
Utopie: ja, aber …
[…] unsere sehr einseitige Erwerbsgesellschaft kontrastiert […] enormer Verschleiss an Menschen, die psychosomatisch reagieren, enormer Verschleiss an Produkten – unökologische Produktion, die nur hergestellt werden, um das BSP zu steigern. Wenn die Gesamtkosten miteinbezöge, würde man feststellen, dass sehr viele Produkte nicht nur unökologisch sind, sondern auch völlig unwirtschaftlich. […]
Quelle: Doppelpunkt: „Grundeinkommen für alle: Utopie?“, Ueli Mäder, bei 34min.
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