Dienstag, 28. September 2010
Der Coup ist vollbracht, die Mitte, bestehend aus den Parteien FDP, CPV und BDP, denen bisher (zurecht) das Verliererimage anheftete, ist wenigstens im Bundesrat völlig unerwartet erstarkt. Die SP wiederum findet sich über Nacht in einem Alptraum wieder, der am Abend zuvor als Träumerei in annähernd paradiesischen Umständen begonnen hat.
Einzig für die SVP hat sich irgendwie nicht so viel geändert. Sprich sie kann sich so auf ein unerschöpfliches Arsenal an Wahlkampfmunition freuen (unter anderem: Widmer-Schlumpf ist immer noch da und will sich — hinterhältig wie immer — mit dem Wechsel ins EFD die Wiederwahl sichern. Und der zweite SVP-Bundesrat wurde der Partei auch dieses Mal nicht zugestanden).
Irgendwie machen meine Worte zum «Primat der Politik» plötzlich doppelt bis dreifachen Sinn — Worte, die ich fast prophetisch vor diesem schwarzen Montag hier in diesem Blog niedergeschrieben habe:
Doch rückblickend muss man nüchtern–pragmatisch sagen: Das Primat der Politik ist es eben gerade nicht, längerfristig zu denken. Wenn man die Möglichkeit hat, heute (aus eigener Kraft) an die Macht zu kommen, verschiebt man das Vorhaben lieber nicht ein Jahr in die Zukunft. Denn wer weiss, wie die Situation im November 2011 aussehen wird? Ein Jahr in der Politik kann verdammt lange sein.
Quelle: Rime als hoffnungsloser Sprengkandidat
Natürlich muss ich als SPler auch Kritik an meinen Genossen äussern: Offensichtlich ist man dieses Mal völlig blauäugig in die Neubesetzung der Departemente gegangen. Man scheint sich die Unterstützung und Wahl Schneider–Ammanns nicht teuer erkauft zu haben, sondern dem Gegner in „linker und netter“ Manier zugestanden haben. Ein kapitaler Fehler derjenigen verschworenen Bande, die noch vor nicht allzulanger Zeit in einer vielbeachteten DOK-Sendung über ihren taktisch meisterhaften Schachzug prahlte, wie sie anno dazumal Christoph Blochers Abwahl herbeiführte.
Wie dem auch sei, ich wage zu behaupten:
Wir sehen uns dieses Mal nicht bei Philippi, sondern am 23. Oktober 2011 wieder.
Aus meiner Sicht ist es für die SP nun seit vielen, vielen Jahren für einmal wieder deutlich einfacher zu gewinnen als zu verlieren — man muss schon selten dämlich sein, in den verbleibenden 12 Monaten die Messer nicht derart zu wetzen, dass sie bei der kleinsten Berührung für tödliche Wunden sorgen:
Entweder erreichen wir in den Nationalratswahlen 2011 aus eigener Kraft einen derartigen Stimmenzuwachs, dass wir im blutigen Herbst 2011 den Mitteparteien FDP, CVP und BDP — leider in unheiliger Allianz zusammen mit der SVP — so wirklich richtig an den Karren fahren können, wie wir es wohl seit Beginn der Zauberformel nie getan haben. Das heisst für mich: Nicht nur Evelyne Widmer-Schlumpf, sondern auch Doris Leuthard und Schneider–Ammann sind akut abwahlgefährdet. Die Aushängeschilder der BDP, CVP und FDP haben es sich aus meiner Sicht mit ihrer Aktion vom vergangenen Montag endgültig ein Plätzchen auf den Zielscheiben in diesem Land gesichert gemacht. Dürfen wir das Wohl des Landes mit solchen Vergeltungsaktionen aufs Spiel setzen? Ja, dürfen wir. Tit-for-tat hat begonnen, das Pendel wurde in Schwung gebracht. In einem gewissen Sinne steht auch die Zukunft der SP Schweiz auf dem Spiel. Wenn wir symbolisch untergehen, ziehen wir so viele Sandkastenkollegen der alten Garde wie nur möglich mit in den Abgrund. Zeigen wir hier keine Stärke, sind für wohl bis Ende der Dekade und darüber hinaus der Juniorpartner, dem man väterlich und mit einem gewissen Mitleid auf die Schulter klopft.
Schaffen wir diese Strafaktion nicht, zieht die SP aus dem Bundesrat aus. Nicht nur wird das Politisieren in unserem Land über Nacht circa 1000 Prozent interessanter, sondern die Partei könnte ihre zweite Jugend erfahren, die sie doch so dringend braucht. Vorbei wären mit dieser konsequenten Aktion die Zeiten der verkrusteten, trägen SP, die es sich im Bundesrat und mit ihren sonstigen Mandaten überall in den Schweizer Exekutiven und Legislativen gemütlich gemacht hat. Hier läge die seit langem gesuchte Möglichkeit, einen Ruck durch die Basis gehen zu lassen und die alten Kämpfer wieder hervorkommen lassen. Falls die Partei denn überhaupt noch Kämpfer aufzuweisen hätte. Wenn neben der SVP noch eine Partei eine gewisse kämpferische Gene in ihrer DNA hat, dann die SP.
Doch wählt unsere Parteileitung und die Parlamentsfraktion in einem Jahr keine der beiden Varianten, hat es die Partei nicht anders verdient, als unterzugehen. Sacken wir bei den Nationalratswahlen weiter ab, hiesse das, dass das Volk die Schweiz als genügend sozial erachtet und die Sozialwerke dem Abbau preisgibt. Und da das Volk immer recht hat, wie die Minarettinitiative ja so schön zeigt, müsste das meine Partei wohl oder übel akzeptieren. Würden wir es zudem mit dem Austritt aus dem Bundesrat nicht schaffen, einen Ruck durch die Mitglieder gehen zu lassen, hiesse das, dass die Partei sich selbst aufgegeben hat. Dann müsste man wirklich überlegen, neuen Kräften Platz zu machen.
Eines ist ab all dieser Überlegungen klar: Ab sofort herrscht (politischer) Krieg. Das gute an dieser Kriegsform: Es gibt keine Menschenleben zu beklagen. Das schlechte daran: Das Blutbad wird dadurch nicht sonderlich kleiner.