Das in meinem vorherigen Post verlinkte Dokument der Eidgenössischen Finanzkontrolle und deren „Überprüfung der Projekte Guichet virtuel und Vote électronique“ ist sehr interessant und muss für einen weiteren Beitrag herhalten. Sorry an alle, die jetzt nochmals unter die Räder kommen.
Wie von meinem Studium her gewohnt liest man am Besten immer die Conclusion, bevor man sich in die Textwüste verirrt. Schon nur das besagte Fazit finde ich sehr originell und zitierungswürdig:
Die EFK ist überzeugt, dass mit dem Projekt Guichet virtuel eine solide Grundlage für Internetdienste des Bundes gelegt wurde.
Schön, dass die EFK überzeugt ist. Leider bin ich das überhaupt nicht.
Die Kapazitäten der Plattform werden noch nicht voll genutzt. … Für die momentanen Überkapazitäten werden alternative Nutzungen evaluiert.
In der Privatwirtschaft wird mit Überkapazitäten leicht anders verfahren, da werden schlicht und ergreifend Stellen abgebaut und man lässt dann die übriggebliebenen Leute halt 120% arbeiten, bis sie sich mit einem psychischen Knacks in die IV verabschieden. Nicht, dass ich das unterstützungswürdig fände…
Beim Bund sieht das Vorgehen grundsätzlich ein wenig anders aus. Ein kleines Beispiel gefällig?
Armee 21
Paradebeispiel: Armee 21 plus alle kommenden Revisionen. Wir haben Überkapazitäten, was man nun selbst dem gemeinen Bürger nicht länger verheimlichen kann – doch was nun? Klaro, da war doch was: Sicherung der Botschaften. Doof nur, dass die Armee aus meiner Sicht eigentlich für die Landesverteidigung geschaffen wurde. Sicherungseinsätze sollten grundsätzlich von der Polizei übernommen werden. Diese Leute sind nämlich über Jahre hinweg dazu ausgebildet worden, täglich für die Sicherheit unsere Bürger zu sorgen – notfalls mit ihrem Leben (klingt heroisch, nich‘?). Die Soldaten auch, höre ich gerade aus dem Off? Najaaa, jetzt mal ehrlich: Jemand der alle 1-2 Jahre einen Wiederholungskurs absolviert (im Restaurant herumsitzen und den Sold versaufen) und in der restlichen Zeit als Student herumtingelt oder als Automech seinen Lebensunterhalt verdient … Der soll Botschaften bewachen? Vor die Wahl gestellt: Von wem würden Sie sich lieber beschützen lassen? Mein Vorschlag: Der Armee weiter das Budget streichen, dafür den Polizisten den dringend benötigten Zustupf geben. Gespart wird zwar auf den ersten Blick nichts – ich bin mir aber sicher, dass die Polizei mit demselben Franken das Doppelte herausholt als unsere Armee. Das tut weh! Aber die werten „Bullen“ benötigen nunmal keine F/A-Jets, und auch Panzer sieht man weniger oft aus der Kaserne fahren … Abgesehen davon haben wir ja einen solch supertollen in- und ausländischen Geheimdienst, dass Terroristen schon beim Bomben-Basteln aus den Angeln gehoben werden.
Zurück zum eigentlichen Thema. Wie baut man denn nun bei unserem Wasserkopf „Überkapazitäten“ ab?
Guichet Virtuel
Auch hier: Anstelle Stellen abzubauen, beschäftigt man die Leute weiter. Zur Verlängerung des Arbeitsvertrages schenkt man ihnen dann wohl ein Origami-Bastelheftchen, mit dem sie sich die langen Arbeitstage verkürzen können. Wie immer ist es auch in der Verwaltung dasselbe: An dem einen Ort schuften Leute für zwei, während die anderen mit dem Füssen auf dem Pult auf Aufträge warten. Alles schon persönlich erlebt bei der Postfinance: Zwar kein direkter Bundesbetrieb, aber noch sehr verkrustet ;-).
Doch zurück zur Conclusion der EFK:
Mit zunehmenden und attraktiven Angeboten wird auch die Nutzung wachsen.
Spätestens hier sollten die Alarmglocken schrillen. Niemand benutzt also das Angebot, was nun? Wir machen eine eierlegende Wollmilchsau daraus. Hurra! Anstelle einem klar definierten Zweck zu dienen, will man nun also aus dem Guichet Virtuel ein Gemischtwarenladen machen, um die Ausgaben zu rechtfertigen. Wir machen ein Portal. Wenn der Dot-Com-Boom an den Beamten doch nicht spurlos vorüber gegangen wäre … History repeating! Vielleicht erlaubt uns der GuVi in Zukunft ja auch den Download von MP3-Dateien? Ist ja zur Zeit gerade extrem in … *tz*
… Wenn man den Anspruch hat, für den Bürger einen neuen, einheitlichen Zugang über das Internet zu den Behörden zu schaffen, so ist die Investition in der Grössenordnung von 30 Millionen Franken gerechtfertigt. Dass man bei einem Pilotprojekt nachher immer gescheiter ist, liegt in der Natur der Sache. Die Komplexität des Vorhabens ist jedoch aussergewöhnlich hoch.
Schon mal was von „Keep It Simple“ gehört? Wenn das Projekt so komplex ist, sollte man sich wirklich fragen, ob man die richtige Herangehensweise gewählt hat … Ich bin immer noch der Meinung, dass der gemeine Internet-User www.neuenegg.ch eintöggelen wird, wenn er Informationen zum Bezug eines neuen Passes benötigt.
Es sind sehr viele Partner involviert und jeder hat dabei seine eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse.
Ui, hat’s denn kein Projekt-Briefing gegeben? Was war das für ein Projektleiter? Den Erfolg eines Projektes kann man ja bekanntlich nur messen, wenn man klare Vorstellungen über das Ziel hat. Selbstverständlich kann es aber sein, dass meine Vermutung zutrifft: Der Guichet Virtuell wurde während des Dot-Com-Boomes erdacht. Ziel war es, vorzuweisen, dass „wir auch dabei sind“. Hauptsache wir machen was.
Der Guichet virtuel bietet dem Bürger heute schon viele interessante Informationen. Mit dem Einsatz von verschiedenen Web-Services werden künftig neue Abläufe und echte Vereinfachungen im Behördenkontakt möglich, die sowohl dem Bürger wie auch den Verwaltungen eine Erleichterung von Routinearbeiten bringen werden.
Wunderbar, ich bewillige gleich den Nachtragskredit … wo muss ich unterschreiben?