Sonntag, 24. September 2006
Langsam schleicht in mir der Verdacht auf, dass das 21. Jahrhundert als „Jahrhundert des (physischen und digitalen) Mauerbaues“ in die Annalen eingehen wird …
Nun will der Weltverband der Zeitungen (World Association of Newspapers, WAN) technische Barrieren errichten, mit denen Buch-, Zeitungs- und Magazinanbieter den automatischen Zugriff auf ihre Inhalte regeln können.
Quelle: Verleger wollen Online-Nachrichten vor Suchmaschinen schützen
Ich verstehe dieses Geschrei (losgetreten durch ein Gerichtsurteil in Belgien, das Google verbietet, Nachrichten zu sammeln) nun wirklich nicht. Wer mit Hilfe von offenen Internet-Standards (HTTP, HTML) Inhalte im Web publiziert, muss sich damit abfinden, dass diese Informationen auf einfachste Art und Weise ausgelesen werden können. Gerade das ist ja das Prinzip des World Wide Web – geradezu absurd deshalb, den offenen Informationsfluss zu verhindern. Wohin entgleitet unser liberales Gedankengut?
Deshalb, liebe Verleger: Wenn ihr nicht wollt, dass eure Inhalte von Google indexiert werden: Schützt sie! Mit Passwörtern. Verkauft den Informationsdurstigen Online-Abonnements. Aber macht um Himmels Willen die Informationen nicht frei zugänglich und beschwert euch danach, dass man auf diese dann auch tatsächlich zugreift …
Kleiner Merksatz für die Chefetage
Verleger, vor euch kam die Musikindustrie, nach ihr die Filmindustrie. Alle wollten sie den Zugang zu ihren Erzeugnissen mit Zugangssperren kontrollieren. Wo stehen wir heute? Im Internet wird mit Musik und Filmen gehandelt, ohne dass ihr einen Penny davon seht. Und wieso ist das so? Weil es sich um keine Einweg-Verschlüsselung handelt. Was verschlüsselt wird, muss beim Konsumenten auch wieder entschlüsselt werden. Und genau das ist der springende Punkt: Solange auch in Zukunft etwas entschlüsselt werden muss/kann, wird es auch findige Köpfe gegeben, die die Entschlüsselung entgegen eurem Ansinnen „aushebeln“ werden. Viele aus Gründen der Produktepiraterie, andere dagegen auch einfach nur, um die Ware, die sie mit teurem Geld erstanden haben, auch wirklich zu nutzen.
Ich erwarte den Tag, an dem sich eine findige Online-Redaktion endlich vom alten Zeitungs- und Magazins-Denkmuster löst und uns Netizens endlich ein (zu bezahlendes) Informationsangebot bereitstellt, das die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters auch wirklich ausnützt. Sprich die „customized“ Titelseite mit denjenigen News, die mich auch wirklich interessieren. Und eine Liste von Inhalten, die Personen mit demselben Hintergrund wie meinereiner gelesen und als gut befunden haben. Natürlich muss ich dazu meine persönlichen Vorlieben bekannt geben – doch das wird nicht nur die Werbeindustrie freuen, sondern auch mich, weil ich die für mich relevanten Informationen auf dem Tablett serviert bekomme und nie mehr eine ganze Zeitung durchblättern und die Nadel im Heuhaufen suchen muss.
Auf die Spitze getrieben
Google geht mit seinen Produkten oftmals noch weiter: Die Benutzer werden geradezu aufgefordert, mit den von Google bereitgestellten Informationen und Hilfsmitteln kreativ umzugehen und neue Anwendungen zu realiseren. Auf den ersten Blick etwas makaber, aber www.verkehrstot.ch ist ein solches Beispiel. Google stellt mit Google Maps das Kartenmaterial und ein JavaScript-Framework zur Verfügung, die Entwickler hinter Verkehrstote.ch bauen sich daraus eine völlig neue Anwendung zusammen. Ein Anwendungszweck, den wohl niemand bei Google selbst erfunden hätte. Deshalb auch „on the shoulder of giants“ als Google-Mantra (nach „do no evil“)
Zum Abstimmungssonntag
Wenn wir schon beim Mauerbau sind: Das Stimmvolk hat heute mit überwältigender Mehrheit schärfere Massnahmen gegen Ausländer und Asylanten befürwortet. So könne dem Missbrauch unserer Gastfreundschaft ein Riegel geschoben werden. Falls das Ausziehen des Samthandschuhes wirklich Linderung bringen sollte – mir soll’s Recht sein. Doch ich hege weiterhin meine Zweifel, ob die Wunschträume auch wirklich Wahrheit werden. Und falls nicht: Dann verschärfen wir das Gesetz halt ein weiteres Mal. Blocher hat ja angedroht, noch bis lange nach seiner Pension als Bundesrat zur Verfügung zu stehen …
Wie dem auch sei, ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Mauern ihren Erbauer noch selten den gewünschten Schutz vor was-auch-immer gebracht haben. Im Gegenteil – vor lauter Panikmache vor der exogenen Gefahr vergass man, sich um die im Innern brodelnden Probleme zu kümmern. Stichworte?
Deshalb sind wir gespannt, ob sich die Migrationsproblematik wirklich derart einfach mit ein paar Gesetzen und verlängerten Haftstrafen lösen lässt.