Montag, 22. Mai 2006
Executive Summary: 0.00 SFr. in 0.00 Aktien. Dieser Mangel an „Kapitalanlagen“ war für meinereiner bis vor einer Woche ein Fluch, nun ein Segen. Jedenfalls, wenn die Schlagzeilen halten, was sie versprechen:
Schweizer Aktien auf Talfahrt
Genau dieses Thema brennt mir eigentlich seit unserem Kopenhagen-Reisli Mitte April unter den Nägeln. Aktien. Genauer: Aktien und meine Kollegen.
Zwischen Ostern und heute kam dann noch der Facts-Artikel, der wohl noch den Hinterletzten dazu bewog, noch kurz Aktien einzukaufen. Tjach, Ironie des Schicksals: Wenige Wochen später schaut’s alles ein wenig dunkler, bedrohlicher aus.
Phänomen unter Studierten?
Der erste Kollege, der so richtig in die Chose eingestiegen ist, ist derjenige, der mittlerweile 27 Jahre auf dem Buckel hat, aber die Arbeitswelt bisher nur vom Hörensagen kennt. Er bezeichnet sich selbst als „Ewiger Student“. Vielleicht gerade deswegen hatte er die Zeit und Musse, sich bereits vor Jahren mit der (bis vor kurzen) „einfachsten Art, Geld zu verdienen“ zu beschäftigen.
Besagten Kollege durfte ich kurz vor Ostern mit einem anderen Kollegen (beides BWLer) auf der Zugfahrt nach Basel Airport begleiten. Das Thema während einer geschlagenen Stunde: Aktien. Ich muss zugeben, dass ich in Basel etwas perplex aus dem Zug ausstieg. „Verflucht“, dachte ich mir, „ist es wirklich so einfach, so schnell reich zu werden?“. Ohne einen Finger zu rühren, indem ich Aktien in und aus meinem Portfolio auf dem Markt herumschieben würde. „Man, bin ich ein Idiot, da schufte ich mir mit zwei Jobs (Total 50%) einen ab, entwickle als Hobby ab und zu noch Web-Sites – und die sitzen im Stuhl und schauen fern, während ihr Geld für sie arbeitet“.
Was er mir bis heute schuldig geblieben ist: Ein sauber gestaltetes Excel-File, das mir aufzeigt, a) wieviel er vor Jahren hineingesteckt und b) wieviel Vermögen er nun, 2006 i. J. d. H., besitzt. „Najaaa …“ tönt es dann immer „… zu Beginn habe ich noch das Traden noch nicht ernst genommen.“
Typisierung der jungen Stock-Trader
Bereits im Zug malte ich mir eine erste, provisorische Skizze des hiermit veröffentlichten Artikels aus. Kernstück: Die Typisierung der Aktien-Twens. Ich will es hiermit versuchen:
- Studium zwingend: Ich kenne frisch von der Leber weg niemanden, der Wertschriften handelt und nicht studiert hat. Aber das muss ja nichts heissen. Dennoch: Kann es sein, dass wir uns für schlauer als den Rest der Welt halten? Ist Hochmut im Aktiengeschäft von Vorteil?
- Finanz und Wirtschaft: Das Leibblatt der (zur Zeit nicht mehr so) Noveaux Riches. Man kennt den Aufbau des Blattes in- und auswendig, ist evtl. sogar Abonnement, oder kauft es zumindest ab und zu am Kiosk. Liegt im Zug-Abteil die NZZ und die FuW, entscheidet sich der Aktienhändler natürlich für die FuW.
- Yellowtrade: Das Portfolio verwaltet man auf Yellowtrade, habe ich mir raten lassen. Die billigsten Gebühren. Trotzdem 25.– pro Transaktion (unter 5000.– – meine Region)
- Swissquote: Für den kurzen Blick auf das heutige Aktiengeschehen weicht man aber auf Swissquote aus. Keine Ahnung wieso, aber die Kollegen machen es so. Einmal am Tag schaut man auf dem Portal vorbei. Oder noch besser: Hat das Browser-Fenster dauernd offen.
- Smalltalk: Das Wetter ist etwas, worüber unsere Grossväter noch gesprochen haben. Heute muss man ein paar „Blue Chips“ in Petto haben. Bspw. habe ich gelernt, dass Serono bis vor nicht allzulanger Zeit „gut“ war. Jetzt nicht mehr so. Im Smalltalk zollt man auch Kollegen Respekt, die zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Riecher gehabt und sich mit Aktien eines Durchstarters eingedeckt haben. Und diese natürlich auch wieder zum richtigen Zeitpunkt verscherbelt haben. Ferner liefen: ABB, Unaxis. Es soll auch Leute geben, die an ihren Dell-Computer sich massenhaft mit Apple-Aktien eindeckten. Kein Ehrgefühl mehr, ne? Noch schlimmer wird es, wenn man Apple prinzipiell verflucht.
- Google: Fällt in jeder gesitteten Gesprächsrunde . Man ergötzt sich immer noch an den exorbitanten Kurssteigerung (+300%) und schwelgt in „was wäre, wenn ich beim IPO mein gesamtes Barvermögen, meine Hypothek und mein Auto in Google investiert hätte?“. Mann, die verkaufen nur Werbung! Bis jetzt hat das anscheinend einfach noch niemand realisiert.
- Jeder ein kleiner Analyst: Man kauft Aktien und spricht darüber. Über Nacht mutiert jeder zu einem kleinen Analyst und gibt danach die Floskeln wieder, die man am Vortag in Finanz und Wirtschaft gelesen hat. Begriffe wie „Volatilität“ heben den Aktienbesitzer von den Normalsterblichen ab. Der Hobby-Händler legt seine Beweggründe dar und versucht sich selbst zu vorzugaukeln, dass der Entscheid nachvollziehbar perfekt war. Jeder andere mit derselben Informationsgrundlage hätte analog gehandelt. Psychologie live. Leider läuft auch auf dem Aktienmarkt viel Irrationales, und die Psychologie spielt auch eine grosse Rolle. Wie jetzt gerade. Und leider haben Studien gezeigt, dass die Analüsten, die über enorm viel Informationen verfügen, kaum besser abschneiden als der Schienenverleger, der rein aus dem Bauch heraus Aktien kauft und verkauft. (Buch-Tipp: Surowiecki „Wisdom of the Crowds“).
- 8 Prozent: Diesen Zins (in Stock-Speak: Performance) erwirtschaften Aktien im (langjährigen?) Schnitt. Es geht voran, immer aufwärts. Das arithmetische Mittel hat nur eine Schwäche: Es ist das Mittel zwischen abstürzenden und emporschnellenden Aktien. Und zu Beginn des Jahres weiss man nie so genau, welcher Titel am 31.12. zur einen, und welcher zur anderen Sparte gezählt werden kann. Ich persönlich habe das ungute Gefühl, dass man am Schluss immer der Dumme ist und auf das falsche Pferd gesetzt hat. Murphys Law. Kollege Burgdorfer habe ich vor einigen Tagen gefragt, wieviel der 1930 kotierten Firmen heute noch am Markt sind. 20%? Das ist die zweite Knacknuss an den 8%: Habe ich mein Geld 70 Jahre lang in Aktien, ist die Chance gross, dass die gewählte Firma heute gar nicht mehr existiert … Beängstigend.
- Warren Buffet: Was für eine Jesus, andere Mohammed ist, ist für die Aktien-Leute der Warren aus den Staaten. Auch diese Koryphäe sollte jeder ernstzunehmende Aktienbesitzer kennen, um beim Smalltalk nicht als Unwissender aufzufliegen.
Fazit
Ich bin immer misstrauisch, wenn es um den todsicheren Gewinn geht. Denn wäre es so, sollte ja jeder auf diesem Planeten reich sein …
Ich lehne mich also zurück mit dem Plan, meine erste Million (so ich sie als Historiker jemals redlich verdienen sollte) in Aktien zu investieren. Economies of Scale, sagt man dem, oder? Dann stören auch die 25 Stutz Gebühren auf Yellowtrade nicht mehr. Und: Das Geld geht – trotz Surowiecki – zu einem Profi, der den ganzen Tag nichts anderes macht, als meine Banknötchen umzutischen. Mit solchen Lapalien mag ich mich dann nicht herumschlagen.
Zu guter Letzt
Die NNZaS von gestern Sonntag war sich noch nicht einig: Während der CS-Analüst Burkhard Varnholt das Wort „Baisse“ aus seinem Vokabular verbannte (Realitätsverweigerung?), war der englische Profi Jeremy Grantham der Meinung, dass die Wertkorrektur jetzt einsetzt. Schau’n wir mal von der fernen und sicheren Warte aus, welcher der beiden nun Recht hat.
Ich freue mich aber natürlich mit meiner AHV und Pensionskasse ab den massiven Gewinnen vom letzten Jahr.