Per Zufall bin ich auf ein mittlerweile wohl bereits veraltetes Communiqué gestossen, dass der Bundesrat als Antwort auf einige Vorstösse publiziert hat:
Bundesrat beantwortet Vorstösse zu E-Government
Da ich mich bereits seit längerem als guter Freund der staatlichen Bestrebungen für E-Government geoutet habe und insbesondere das millionenteure Portal Ch.ch als Meilenstein im weltweiten E-Government sehe – ach, was erzähle ich da. Natürlich ist das alles Mumpiz („Wer Sarkasmus findet …“). Man lese selbst:
- Ein Lob auf unsere IT-Beamten
- Guichet Virtuel Revisited
- Guichet Virtuel zum Dritten
- Herr Sigg, die Schweiz braucht kein (weiteres) Portal!
- Die Schweiz liegt nur noch knapp vor Osteuropa (war: Ch.ch)
Nun, führen wir uns also die nächste Episode in der Neverending-Story zu Gemüte:
Der Bundesrat prüft die Bildung eines Ausschusses von Bund, Kantonen und Städten im Bereich E-Government, um die Koordination zwischen den föderalen Ebenen zu verbessern.
Ausser Sitzungsgeldern nichts gewesen. Oder glaubt wirklich jemand, dass man auf diese Art etwas halbwegs vernünftiges auf die Beine stellen kann, wenn alles freiwillig ist?
Auch der Bundesrat krebst im Laufe des Textes zurück:
Gleichzeitig erinnert er daran, dass der Bund hier kein Weisungsrecht hat; Kantone und Gemeinden sind für ihre eigenen Projekte selber verantwortlich.
Problem erkannt – aber wo bleibt der Lösungsvorschlag? Appelliert man an den guten Geist?
Nicht alle Probleme im Bereich E-Government sind dem Föderalismus anzulasten. Dieser kann aber die flächendeckende Ausbreitung elektronischer Dienstleistungen behindern, wenn jeder Kanton und jede Gemeinde für das gleiche Problem eine eigene Lösung erfindet. Deshalb unterstützt der Bundesrat alle Bemühungen, Kantone und Gemeinden zur Zusammenarbeit sowie zur gemeinsamen Entwicklung und Nutzung guter Lösungen zu motivieren.
Mir scheints, als hätten der Antwort-Schreiber und ich in meinen Artikel Die Schweiz liegt nur noch knapp vor Osteuropa (war: Ch.ch) das ähnliche gedacht:
Jede Gemeinde – sofern sie es sich leisten kann – entwickelt ein eigenes Guichet-Virtuel-System. Und selbstverständlich werden diese Systeme nicht untereinander kompatibel sein. Viel Spass!
Wie auch immer – durch solches föderales Dickicht läuft die Schweiz auch in Zukunft Gefahr, den Anschluss zu verlieren (Buzzword: „Time-to-market“). Anstelle ein funktionierendes System werden wir vielleicht im Worst-Case 1 + 26 + 2740 = 2777 Lösungen haben. Und während uns die Osteuropäer dann längstens überholt haben, überlegen wir immer noch, wie wir die unzähligen Systeme zur Zusammenarbeit überreden wollen …
Juhu, und da kommt es wieder, Ch.ch, mein Lieblingsportal, das neben mir nur ein tiefer einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung kennt … A propos: Wie der NZZaS, 1. Januar 2005, S. 10, „Bund will gegen Besitzer von ’schweiz.ch‘ klagen“, zu entnehmen war, kämpft der Staat nun gegen den Besitzer von Schweiz.ch (für einmal zu Recht, wie ich finde). Meine Befürchtung: Ch.ch wird abgeschaltet, der genau gleiche Müll aber auf Schweiz.ch wieder online gestellt.
Wie steht es denn nun um das Schweizer Portal?
Den Nutzen des Internetportals www.ch.ch sieht der Bundesrat im elektronischen Zugang in fünf Sprachen zu allen Informationen und Diensten der Schweizer Behörden über ein einfaches Wegweisersystem nach Lebenslagen, ohne dass Bürgerinnen und Bürger wissen müssen, ob sie die Antwort auf ihre Frage bei Bund, Kanton oder Gemeinde finden. Auf dem Suchweg – im Unterschied zu einer Google-Suche – würden die wichtigsten Informationen zur Frage mitgeliefert. Zudem ist die Verlässlichkeit der Informationsquelle garantiert, und der Nutzen steigt mit dem Ausbau.
Auch das erscheint mir wie eine Replik auf den Artikel Herr Sigg, die Schweiz braucht kein (weiteres) Portal!, in dem ich (4 Monate nach dem Bericht des Bundesrates, notabene) schrieb:
Wieso benötigt man im Zeitalter von Google noch Portale? Ist der Nutzen von Portalen jemals wissenschaftlich untersucht und bestätigt worden?
Zweiteres hat bis heute nicht stattgefunden.
Mit der Aufnahme des Betriebs von www.ch.ch auf Anfang 2005 werden jetzt aber Massnahmen ergriffen, um den Bekanntheitsgrad zu steigern, den Adressatenkreis auszuweiten und www.ch.ch zur nationalen Einstiegsseite weiterzuentwickeln.
Hat der Bundesrat wirklich eine Ahnung, von was er da schwafelt? Und weiss Christoph schon, wieviel das kosten wird? Sagt ihm das bitte mal jemand? Hier wäre ich für ein analoges Vorgehen wie bei der Tourismusförderung: Ein symbolischer Franken, mehr nicht. Denn der ROI ist fragwürdig bis non-existent.
Anekdote
Letzte Woche habe ich mich zum ersten Mal auf Ch.ch gewagt. Ich war nämlich auf der Suche nach der Web-Site der Kantonspolizei Fribourg. Leider fand ich auf fr.ch nichts. Nach viel Googeln hatte mich das Web soweit, und ich gab Ch.ch eine Chance.
Schussendlich erlebte ich ein Paradebeispiel von falschen Vorstellungen und Hoffnungen: Ich navigierte also zu Private > Sicherheit > Polizei > Kantonspolizei - Informationen einholen und kam schlussendlich auf eine schöne Karte der Schweiz. Als ich dann den Kanton Freiburg selektierte landete ich wieder dort, wo ich vor einigen Minuten begonnen hatte: Auf fr.ch. Es scheint also, dass der Kanton Freiburg seiner Kantonspolizei keine eigene Web-Site gespendet hat. Dies aber auf Ch.ch und auf Fr.ch anzumerken, kam niemanden in den Sinn. Hat es bei solchen grundlegenden Problemen Sinn, E-Government zu betreiben?