Dienstag, 9. Mai 2006, 21:21 Uhr

Ortsplanung auf Abwegen

Da wurde den etwa 30 Anwesenden heute Abend im Schul- und Kirchenzentrum vom Gemeindepräsidenten, dem Ortsplaner, dem Bauverwalter und der Präsidentin der Baukommission die erste Rohfassung der neuen Ortsplanung vorgestellt, doch auf meine simple Frage konnte mir weder der „Sendig“ noch der Ortsplaner klar und deutlich Auskunft geben:

Die Frage

Wieso müssen wir eigentlich [bevölkerungs- und raummässig] wachsen? Machen wir damit „e Guete“?

Die Antworten

Der Ortsplaner redete derart um den heissen Brei herum, dass ich mich schon jetzt nicht mehr erinnern kann, was seine Kernaussage war. Ich glaube, es hatte damit zu tun, dass die Einwohner des Westens (oder nur der Schweiz?) pro Jahr einige (zehntels-?) Quadratmeter mehr an Wohnfläche benötigen würden, der Trend also auf grösseren Wohnungen mit weniger Wohnenden hinziele. (Nebenbei: Wer will freiwillig eine grössere Wohnung? Die Putzerei würde mich wahnsinnig machen!) Nachtrag: Die Antwort empfinde ich immer noch als am Thema vorbei gehend. Sie bezieht sich eher auf die imaginäre Frage, wieso es eine kleinere einzuzonende Wohnfläche nicht auch tun würde. Aber auch damit würde meine eigentliche Frage nicht beantwortet – rentieren die Neubauten auf lange Sicht für die Gemeinde?

Henusode, wahrscheinlich war die Frage wirklich derart naiv-blöd, dass die intelligenten Geister nichts damit anfangen konnten.

Auf meine nachdoppelnde und zugespitzte Frage hin, ob man sich denn vom neu einzuzonenden Gebiet auf dem Bramberg Steuerzahler und somit Kapital für die Gemeindekasse erhoffen könne, meldete sich der Gmeinspräsi zu Wort. Auch er gab keine konkrete Antwort.

Zuerst verwies er darauf, dass man diesen „Spickel“ auf dem Bramberg bereits in der letzten Ortsplanung als potentielles Umzonungsgebiet für den Wohnbau herausgestellt hatte. Nun müsse man dieses doch einfach bebauen, man komme gar nicht darum herum (Überspitzung von mir). Es tönte fast so, als müsste man das Versprechen von damals nun auch einhalten, schliesslich brechen wir Schweizer nie unser Wort. Komisch war es trotzdem – als müsste man filzmässig ein altes Versprechen einlösen. Söihäfeli und Söidecheli. Aber ich interpretiere da wohl zuviel hinein, als da wirklich war.

Dann beschied er mir auch noch, dass es schier unmöglich sei, auf 10-15 Jahre hinaus vorauszusagen, ob denn nun ein Neubauprojekt für die Gemeinde rentiere. Dies habe man bereits in der letzten Ortsplanung gesehen, von deren man Teile total anders realisiert habe als geplant (Zwischenfrage: Wieso macht man dann überhaupt noch eine Ortsplanung?)

Und so etwas aus dem Munde eines rechts-bürgerlichen Politikers! Normalerweise stellen doch gerade diese Kreise die Kostenfrage vor allen anderen Überlegungen. Und wehe, kann so der Mehrwert für linke Projekte nicht aufgezeigt werden … (Als Mehrwert gilt ausschliesslich der kurzfristig zu erzielende Steuerfranken. Entlastung der Natur oder gesellschaftliche Vorhaben schliesst man so von vornherein aus.)

Ernst Mattenberger, ein Anwesender, wiederum führte an, dass die Gemeinde Köniz, um ihre Bevölkerungszahl rein nur zu halten, jährlich 150 Neuwohnungen bauen müsse.

Rolf Balsiger schlussendlich berichtete über eine Sitzung vom heutigen Nachmittag, wo der Gemeindepräsident von Rubigen ausrechnete, dass eine vierköpfige Familie ein steuerbares Einkommen von 80’000 SFr. aufweisen müsse, damit die Gemeinde eine schwarze Null schreibe. Ein Doppelverdiener-Haushalt rentiert für die Gemeinde, sobald ein steuerbares Einkommen von etwa 50’000 SFr. vorliegt.

Wer die Relationen nicht sieht: 80’000 SFr. steuerbares Einkommen, nicht Nettolohn! Das schaffen heute nur fast die Ospels unter den Mittelständlern:

Hat das gleiche Ehepaar ein steuerbares Einkommen von 73’500 Franken (netto 7’500 Franken pro Monat […]

Quelle: Argumentarium zur Volksinitiative „Steuergerechtigkeit für Familien!“

Meine Überlegungen

Klar mag das mit dem steigenden Platzbedarf den Tatsachen entsprechen. Doch in der Ortsplanungsrevision las man von einer 4-5% Steigerung der Einwohner, nicht der Wohnfläche.

Ich finde es bedenklich, wenn man eine sogenannte „Ortsplanung“ durchführt, aber ein wichtiges Informationsinstrument gar nicht heranzieht: Mathematik. Mir kann niemand erzählen, dass man nicht eine (halt nur) grobe Kosten-/Nutzen-Zusammenstellung erstellen kann, die aufzeigt, was mit 5% Einwohner mehr an Steuergeldern hinzufliessen (realistisch, nicht optimistisch, vielleicht sogar pessimistisch gesehen), aber was die 5% mehr Einwohner uns dann auch kosten. Leider gehen die rückgelagerten Auswirkungen bei solchen Berechnung schnell vergessen: Mehr Einwohner, mehr Kinder, grössere Klassen, mehr Lehrer, mehr Schulraum. Mehr Pendler, mehr Verkehr, verstopfte und schneller zu erneuernde Strassen, überfüllte Busse, überfüllte S-Bahn. Mehr Abwasser, mehr Wasserverbrauch, mehr Energieverbrauch. All dies will berücksichtigt sein.

Somit stelle ich ein grosses Fragezeichen hinter diese „Ortsplanung“. Wenn jemand wachsen will, ohne mir das „Wieso“ erklären zu können, erinnert mich das stark an die Dot-Com-Bubble Anfangs des Jahrhunderts: Da butterte man Millionen in Unternehmen hinein, ohne dass die jemals einen einzigen Rappen verdient hätten. Man hoffte voller Optimismus, dass sich die vollmundigen Versprechungen der CEOs irgendwann einmal über Nacht erfüllen sollten. Leider platzte die Blase, und es wurde ein feuchter Traum.

Labels: Neuenegg

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