Archiv 12. Februar 2011

Samstag, 12. Februar 2011

Diktator weg, und jetzt soll Demokratie herrschen?

Verfolgt man die Freudensbekundungen meiner Bekanntschaften auf Facebook, so scheinen bei den meisten die Sicherungen durchgebrannt. Ihre Logik schaut ungefähr folgendermassen aus:

  1. Übler Diktator absetzen
  2. ???
  3. Vorzeige-Demokratie eingeführt

Kurz: Nur weil Mubarak jetzt anscheinend zurückgetreten ist und mit seinem Clan wohl demnächst das Weite (sprich: den Ruhestand im Diktator-Spa Saudi-Arabien) sucht, heisst das noch lange nicht, dass in Ägypten morgen nach nur einmal Schlafen auf einmal eine paradiesische Demokratie herrscht.

Nötige Klammer

Im Gegenteil: Wenn wir uns überlegen, wie lange die USA diesen Typen an der Macht gehalten hat, sollten wir hellhörig werden. Was wissen die USA, was die Demokratiefans in meiner Facebook-Gefolgschaft übersehen? Nun, wenn wir den Blick etwas östlicher nach Irak schweifen lassen, sehen wir, dass arabische Länder wie auf Valium friedlich und ruhig der Zukunft entgegengefolgt sind, wenn sie von einem Despoten regiert wurden. Peitsche, ohne irgendwelche Zuckerbrote, sozusagen. Diktatoren und ihre Schreckensherrschaft mit Militär, Polizei und Geheimdiensten scheinen die zwingend nötige Klammer zu sein, um viele arabische Kulturen zusammenzuhalten.

Gleichungen

Gerade deshalb verwundert es mich doch schon etwas, dass man hierzulande anscheinend folgende Gleichung für gültig hält:

Diktator absetzen = Demokratie = friedliches Zusammenleben

Ich würde realistisch-pessimistisch behaupten, dass viel eher folgende Gleichung gilt:

Diktator absetzen = Machtvakuum = Bürgerkrieg

Kuchen

Ich bin der vollen Überzeugung, dass das Gerangel um die (Neu)verteilung der Staatsschätze jetzt erst recht losgeht. Soeben noch vereint, werden sich die friedlichen Demonstranten sehr bald die Köpfe einschlagen, wenn es plötzlich um ihren Anteil am Kuchen geht.

Und dieser Kuchen ist leider viel, viel zu klein. Wieso? Wir dürfen nicht vergessen, dass die Proteste nicht zuletzt auf Grund der explosionsartigen Verteuerung der Nahrungsmittel ausgelöst wurden. Wer sich mit der europäischen Geschichte auskennt, wird hier Bekanntes wiederentdecken: 1789 stieg der Getreidepreis in Frankreich auf noch nie erlebte Höhen. Das Preismaximum war am 14. Juli desselben Jahres erreicht …

Nachtrag I

James Kunstler zieht den von mir hier angesponnen Faden noch etwas weiter:

The early triumphs in and around Paris after 1789 must have been soul-stirring, but you could forgive a casual observer who caught the scent of trouble in the air – and what followed was a years-long dismaying merry-go-round of mis-rule that climaxed in the Reign of Terror and finally resolved a full decade later in the crowning of another absolute monarch: the emperor Napoleon.  Gazing back at all that, it really took France nearly a century to get its act together politically from the moment that the governor of the Bastille surrendered his keys.

Quelle: Next – Clusterfuck Nation

Nachtrag II

Auch Bill Bonner, der bekanntermassen nie eine Rosa-Brille trägt, trifft den Nagel ebenfalls auf den Kopf:

Revolutions don’t always turn out well. The French Revolution was a good time to be in England. The Russian Revolution was a good time to be almost anywhere other than Russia. Even the American Revolution was a good time to be elsewhere too. And then, when Americans finally got their freedom from Britain they almost immediately began shackling one another.

Quelle: Revolution in Egypt and Where to Be When Black Swans Appear

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