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Sonntag, 27. März 2022

Der erste hyperreale Krieg?

Der erste Krieg, an welchen ich mich erinnern kann, ist Operation Desert Storm in Kuwait und im Irak im Januar und Februar 1991. CNN etablierte sich damals mit seiner Live-Reportage direkt aus Bagdad, über die damals neu möglichen Satellitenverbindungen.

31 Jahre später brauchen wir kein CNN mehr, um uns über den Krieg in der Ukraine zu informieren: Smartphones mit guten Kameras sind überall dabei — bei Zivilisten, wie auch Soldaten beider Seiten. Dank schnellem Mobilfunk (4G, und 5G), Internet und Social Media (Twitter, TikTok und Telegram) erreichen Erzeugnisse innert weniger Minuten eine riesige Zuschauerschaft.

Ich kann mich nicht erinnern, das Kriegsgeschehen jemals so ungefiltert, mittels ein, zwei Klicks und annähernd in Echtzeit miterlebt zu haben:

  • zerbombte Häuserruinen
  • unzählige Photos von erbeutetem oder zerstörtem Kriegsmaterial: von Panzerfäusten bis funktonierenden Panzern
  • der Abschuss einer Javelin-Rakete von einem Hausdach auf ein Ziel in Sichtdistanz vor einem Waldrand
  • der Abschuss eines Helikopters mit einer Boden-Luft-Rakete
  • unzählige Drohnenvideos, insbesondere solche, wo Raketen/Artillerie gleich in Ziele einschlägt
  • Leute, die mit Klebeband an Laternenpfähle und Bäume festgezurrt werden
  • zwei erschossene, alte Personen, in einem Auto sitzend auf einer Landstrasse
  • zwei Zivilisten sitzend vor ihrem Haus, erschossen
  • Hunde bei einem Skelett in einem Bombentrichter
  • ein ausländischer Soldat, der von einer Baracke wegläuft, aus welcher eine Rauchsäule aufsteigt
  • ein Artilleriesoldat vor einem Geschütz, der meint „Wenn ihr uns Instagram blockt, blockieren wir halt eure Städte“
  • freundlicher Umgang mit Kriegsgefangenen: er erhält Tee offeriert, und die Betreuer lassen den jungen Mann seine Verwandten anrufen
  • Soldaten, die sich ergeben haben (Kriegsgefangene), mit zusammengebundenen Händen, denen aus nächster Nähe in die Beine geschossen wird

  • ein toter Soldat, umgekippt, auf Schnee liegend, mit den Füssen an einen Laternenpfahl angekettet
  • ein Soldat, der (offenbar) live auf TikTok streamt, und dann während dem Stream entweder auf eine Mine tritt oder von einem Geschoss getroffen wird
  • ein Soldat, der einen abgetrennten Kopf eines gegnerischen Soldaten in die Kamera hält

Wir werden derzeit von allen Seiten mit Informationen geflutetet, und die Informationen erreichen uns je länger desto mehr in Rohform. Nicht in schön aufbereiteten Tagesschau-Beiträgen, mit Quellenverifizierung, Einordnung, Kommentar, Warnungen vor graphischem Inhalten und so weiter.

Jede Seite versucht selbstverständlich über solche Kanäle, ihr Narrativ zu platzieren. Die Quelle und die Authentizität der Videos kann kaum jemand überprüfen — jedenfalls würde das vermutlich für jedes Video Stunden oder gar Tage dauern. Und steht deshalb in keinem Verhältnis zu dem „Aufwand“, das Video einfach kurz zu schauen (und sich noch sehr lange daran zu erinnern).

Schöne neue Welt?

Nachtrag

Der Tagi scheint seit dem 15. März 2022 Social Media-Posts auseinanderzunehmen.

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Labels: Politik

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