Archiv Mai 2006

Donnerstag, 4. Mai 2006

Geschichtslektion mit Schlüer


Ulrich Schlüer mit Hellebarde I
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Heute lancierte 10vor10 die Debatte über die Millionen von Dienstwaffen in Schweizer Haushaltungen, die nur darauf warten, von Amok-Laufenden Übeltäter missbraucht zu werden. Die Forderung: Dienstwaffen gehören nicht unters Ehebett, sondern ins Zeughaus!

Auf Seite der Befürworter wurde Paul Günther, Nationalrat (SP/BE) und Mitglied der Sicherheitskommission, gezeigt. Erstaunt hat mich seine Aussage, dass wir anscheinend das einzige Land der Welt sind, das seinen AdAs ein Stgw (man könnte meinen, ich hätte Militärdienst geleistet, s.u.) mitsamt 50 Schuss Munition oder eine 9mm-Knarre mit nach Hause gibt. Sogar in Israel gäben die Soldaten die Waffe bei der Rückkehr ins Zivilleben wieder ab.

Als Gegner tauchte der von mir allseits geschätzte Historiker-Kollege Schlüer von der SVP auf und vermittelte uns als Koryphäe seines Faches eine kleine Geschichtslektion:

Exportschlager

Die Schweizer sei seit jeher als wehrhaftes Volk überall in Europa bekannt und gefürchtet gewesen. Dazu gehöre dann eben auch, dass man die Waffe mit ins Haus nahm und an den Nagel „hängte“. Ich stelle mir förmlich vor, wie der Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Grossvater von Klein-Ueli mit blutverschmierten Kleidern nach Hause kam und als erstes seine Hellebarde in der Stube an die Wand hängte. Dieses Erinnerungsstück scheint von Generation zu Generation weitervererbt worden zu sein zwecks hehrem Andenken an die schlagfertigen Vorfahren. Fragt sich nur, ob die Waffe im Haus eines wahrhaften Eidgenossen oder die Tötung von Familienmitglieder damit die grössere Tradition hat …

In der Kriegskunst versierte Vorfahren – das stimmt durchaus: Neben der – anfänglich harzenden – zur Verfügungstellung als päpstlichen Leibgarde wurden unsere waffenkundigen Landsleute beispielsweise auch beim Sturm auf die Bastille tragisch dahingemetzelt.

Leider hatte das Söldnertum ab und zu die fatale Konsequenz, dass sich Schweizer und Schweizer gegenüberstanden. Schon früh zeigte sich hier unser alle Bedenken überflügelnde Profitgier. Es war ja irgendwie von Vorteil, wenn der Batzen unter weniger Personen geteilt werden musste, wenn die Hälfte auf dem Schlachtfeld zurückblieb …

Komparative Historiographie

Der Geschichts-Leist Schlüer verliess sodann die Gefielde der Historiographie versuchte, die Zuschauerschaft mit einem einfachen Vergleich für seine Sache zu gewinnen:

Nur weil es vereinzelt Autofahrer gäbe, die ihr Fahrzeug missbrauchten, käme man ja auch nicht auf die Idee, das Auto zu verbieten. Richtig, Ueli, aber ich möchte dennoch in Erinnerung rufen, dass der primäre Zweck eines Fahrzeugs doch der ist, Personen von A nach B zu befördern. Der Zweck einer Waffe ist zwar recht ähnlich, aber irgendwie halt doch etwas verschieden: Auch dieses „Werkzeug“ dient dem Transport von Personen – in die ewigen Jagdgründe. Klar soll es Naturen geben, die mit der Dienstwaffe Nägel einschlagen oder in der Adventszeit Kerzli in den Lauf stecken. Eine Waffe ist aber leider Gottes einfach dazu konzipiert, andere Leute umzulegen, was ich einem Autofahrzeug doch aberkennen möchte.

Meine Meinung

Von mir aus kann man die Waffen morgen gleich einsammeln kommen. Und wer sich dann vor Einbrechern nicht mehr sicher fühlt, sollte den Polizeibehörden endlich die seit langem geforderte Aufstockung der personellen und finanziellen Mitteln verschaffen. Damit nicht die verzweifelt nach Aufgaben suchende Armee wieder einspringen muss. Schliesslich sind Polizisten regelmässig an der Waffe geschult – ein Obligatorisches pro Jahr reicht für den sorgsamen Umgang damit leider nun wirklich nicht.

Dennoch: Angesichts des Bedrohungspotentials ist es doch erstaunlich, dass bisher noch nicht viel mehr passiert ist. Man stelle sich vor, jeder Amerikaner kriegte dieses „Survival-Kit“ mit nach Hause. Da wäre innert Jahresfrist nichts mehr von der einzig noch überbleibenden Supermacht übrig …

Kleingedrucktes

Disclaimer: Dieser Artikel wurde in einem Haushalt geschrieben, in dem keine Schusswaffen und Munition lagern. Mein Vater hat das Gewehr immer freiwillig im Zeughaus abgegeben, während ich und mein Bruder gar nicht erst soweit kamen, die Waffe in Empfang zu nehmen – beide untauglich. Ein hartes Schicksal, an dem wir heute noch kauen.

Disclaimer zum Disclaimer: Zugegebenermassen habe ich aber in jungen Jahren den Jungschützenkurs besucht und lagerte so zwischenzeitlich das zweite Symbol der Männlichkeit (neben der ebenso potenten Waffe „Auto“) in unseren heiligen vier Wänden. Meine zukünftige Ehefrau kann ich aber bereits jetzt beruhigen: Getroffen habe ich so gut wie nie. Auch wenn irgendwo noch ein Kranz herumliegen sollte … Merke: „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“

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Mittwoch, 3. Mai 2006

Wieso wir Schweizer so reich sind

Erst vor kurzem habe ich bezüglich dieser Frage mit meinem Bruder gestritten.

Chrampfer und Büetzer …

Er, Polymechaniker von Beruf, stellte die Arbeitsamkeit der Bevölkerung in den Vordergrund (als Kritik an den „Studierten“ im Sinne vom „Überlegt lieber einmal, wem ihr dies alles hier zu verdanken habt!“. Ein Grundton, der übrigens auch in einem Kommentar von Torquie mitschwingt.)

… oder gewiefte Gschäftlimacher?

Ich hielt (eher spontan, schliesslich „fägen“ solche Gespräche ja nur, wenn man ein Gegenargument präsentieren kann) dagegen, dass man zwar die Leistung der „Büetzer und Chrampfer“ nicht unter den Scheffel stellen sollte. Aber, gab ich zu bedenken, könnte es nicht eher sein, dass wir dank unserer Neutralität zwei Weltkriege ohne nennenswerte Schäden überstanden hatten? Keine verbombten Städte, kein Verlust von im besten Alter stehenden Soldaten, dafür aber mächtig viele Waffenexporte (wo die Büetzer als dafür benötigte Industriearbeiter schon wieder mit im Spiel wären) sowie natürlich – last, but not least – der Bankenplatz!

Also eher im Stil von „Wenn zwei sich streiten …“ – denn eines muss man uns (resp. unseren Vorfahren) lassen: Wenn Blut- resp. Geldhunde einmal Witterung aufgenommen hatten, liessen sie nicht mehr von der Fährte ab, bis das Kässeli voll war.

Die (verspätete) Antwort

Stammtischgeplänkel hin oder her – heute hatte ich die Ehre, die persönliche Seite einen Arbeitskollegen auf Vordermann zu bringen. Und siehe da, genau diese Frage beantwortet er (vorläufig) in einem Working-Paper:

When did the Swiss Get so Rich? Comparing Living standards in Switzerland and Europe

Zwar bin ich erst auf Seite 2 angelangt, aber das bisher gelesene macht Lust auf mehr.

Der springende Punkt

Schon – oder gerade für die Zeit um die Jahrhundertwende – ist aber folgende von grosser Bedeutung:

One could therefore imagine, for example, that Switzerland already enjoyed a high level of GDP per capita before World War I, while the majority of its citizens did not share the benefits of this economic success and were still comparably worse off than their neighbours when looking at real wages.

Quelle: Seite 4f., unten.

Auch heute ist die Sachlage identisch – die Schweiz ist das reichste Land der Welt, aber wir zählen dennoch 200’000 „Working Poors“. 24 Millionen SFr. von Ospel und ein Arbeitsloser zusammengerechnet ergeben halt immer noch das schöne Jahressalär von 12 Millionen pro Kopf … Ich rette mich jetzt aber lieber von den bereits rot anlaufenden B- und VWLern anhand des stümperischen Vergleichs *grins*

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Mittwoch, 3. Mai 2006

Die Blogosphäre denkt in gleichen Bahnen

Spannend, wie sich die Geschichte um die neuen „Get a Mac“-Spots von gestern entwickelt hat:

Torquie: ABQ

Kollege Torquenstein postuliert in den Kommentaren zu meinem Artikel seine ABQ „Anything but Quicktime“-Attitüde. (Zwischenfrage: Wieso eigentlich? Ich habe hier auf meinem Mäck Quicktime, WMW Player sowie Real installiert, ohne dass ich am Ende meines Lebens in den Hades kommen werde für den Frevel …)

Das Wort ABQ lehnt sich an ABM „A Bon Marché“ „Anything but Microsoft“ an. Die letztere Einstellung gefällt mir übrigens deutlich besser als ABQ.

Okey, ihr habt Recht, das war jetzt nicht unbedingt erwähnenswert.

Worauf ich eigentlich herauswill:

Kollege Walt

Ich weiss, dass Apple Walt Mossberg vom WSJ gerne zitiert. Aber wenn es auf diesem Planeten nur eine Person geben dürfte, die bezüglich Macs keine objektive Meinung hat, dann würde die Ehre Walt zufallen. Der ist doch seit Jahren gekauft!

Quelle: Ich, in „Hello, I’m a Mac …“

Einige Stunden später Paul Thurrot:

though I disagree with Apple’s constant references to Walt Mossberg, who I feel is too Apple-friendly to be call objective any more.

Quelle: Get A Mac

Kollege Bill

Erinnert euch „PC“ nicht auch ein wenig an Bill G.?

Quelle: Ich, in „Hello, I’m a Mac …“

Knapp einen Tag später TUAW:

And like most of us, I saw a guy who reminded me of Bill Gates.

Quelle: Yes Martha, he looks Bill Gates-ish

Fazit

Bei solchen Gedankengängen scheint es keine Länder- und Sprachgrenzen zu geben … Und: Die schreiben alle von mir ab! (Das war ironisch gemeint – einige Leute haben das ja bei meinem letzten „I’m the King of the World“-Anfall nicht ganz verstanden).

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Dienstag, 2. Mai 2006

Zürich kriegt einen Apple Store

Gerüchten zufolge soll an der Bahnhofstrasse 77 in Zürich der erste Apple Store der Schweiz eröffnet werden.

Wieder mal 1:0 für Downtown Switzerland … *neid*

Via: Zürich Apple Store all but confirmed

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Dienstag, 2. Mai 2006

"Hello, I’m a Mac …"

Ich weiss nicht, ob damit viele Neukunden gewonnen werden – aber he, Steve hat’s wenigstens probiert. Lustig, wie für einmal nicht Mac-Klisches („Macs sind schwul!“) persifliert werden, sondern Windows. Erinnert euch „PC“ nicht auch ein wenig an Bill G.?

Get A Mac

Windows-Jünger, denkt daran: Mit Windows Vista wird alles besser. 2007?

PS: Ich weiss, dass Apple Walt Mossberg vom WSJ gerne zitiert. Aber wenn es auf diesem Planeten nur eine Person geben dürfte, die bezüglich Macs keine objektive Meinung hat, dann würde die Ehre Walt zufallen. Der ist doch seit Jahren gekauft!

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Dienstag, 2. Mai 2006

fstat, lsof und fs_usage unter Mac OS X

Gestern Abend geschah es: Slideshow for Erik, eine nette Freeware-App zur unkomplizierten Bildbetrachtung (Ordner mit Bildern auf das Icon im Dock ziehen, fertig) wollte nicht mehr. Nach dem Klick auf das Dock-Icon „bouncte“ dieses zwar zwei Mal, dann aber war schluss. Das schwarze Dreieck erschien nicht, um anzuzeigen, dass die Applikation geladen war.

Misslich! In der Console standen keine Fehlermeldungen, weshalb ich im Unklaren war, wo resp. wie der Fehler einzugrenzen war. Als erste Fährte wollte ich überprüfen, auf welche Dateien die Applikation beim Start Zugriff. Erst gerade vor kurzem hatte ich nämlich

$ sudo chmod -R root:admin /Applications/
$ sudo chown -R root:admin /Applications/

ausgeführt. Ob es (mit dem eigentlich nun korrekten) User/Group-Eigenschaften zu Berechtigungsproblemen kam?

Unter Windows käme zur Beantwortung einer solche Fragestellung Sysinternals exzellentes FileMon zum Einsatz. Doch unter Mac OS X?

Ich erinnerte mich, auf einer Technologie-Seite über Mac OS X vor langer, langer Zeit einmal etwas gelesen zu haben, wie man sich die Filezugriffe anzeigen konnte. Leider wusste ich anfänglich die URL nicht mehr – nach etwas Googlen stiess ich dann auf den gesuchten Kernelthread.com. Leider fand ich aber den Artikel über die Protokollierung der Dateizugriffe nicht mehr.

Stattdessen liess ich zum ersten Mal in meinem Leben die auf Kernelthread beschriebenen Tools fstat und lsof laufen. Woah! Für Spezialuntersuchungen muss ich mir die beiden Befehle merken. Soweit ich weiss, erlauben es diese beiden Tools aber nicht, im Hintergrund zu laufen. Werden sie gestartet, listen sie alle Datei-, Netzwerk- sowie sonstig abstruse Zugriffe auf. Aber eben nur gerade die zur Laufzeit aktiven.

Wieder etwas später dann die Entdeckung von fs_usage. Genau das suchte ich! Ein Non-Stopp-Monitoring, das erst mit Ctrl-C abgebrochen werden kann.

Schnell zimmerte ich mir im Terminal folgendes Konstrukt zusammen:

$ sudo fs_usage | grep Slide

und startete danach die Applikation aus dem Finder heraus.

Zeilenweise Zugriffe wurden ausgegeben. Unsicher, ob ein > dump.txt auch funktioniert hätte, kopierte ich den gesamten Inhalt des Terminal-Fensters in eine Textdatei und liess dann noch ein

$ cat dump.txt | grep -v CACHE_HIT

drüberlaufen. Dies verminderte den Output von 963 auf 702 Zeilen.

Und dann, tatsächlich, fiel es mir wie Schuppen von den Augen:

22:11:29  open            /Library/Preferences/Network/com.epson.scannermonitor.plist                       0.000084   SlideShow fo
22:11:29  open            /Library/Preferences/com.epson.scannermonitor.plist                               0.000027   SlideShow fo

Die Epson-Tools für meinen Scanner (!) hatte ich vor zwei Tagen nach /dev/null geschickt, da ich der Meinung war, mit dem deutlich benutzerfreundlichen Apple Image Capture bedient zu sein (dieses erkannte – o Wunder – meinen Scanner nach der Löschaktion übrigens auch nicht mehr).

Also meine portable Backup-HD daher, angeschlossen, die beiden EPSON.apps wieder nach /Applications/ kopiert, und die Slideshow startete tatsächlich wieder.

Wieso Slideshow die Scanner-Applikation braucht, ist mir bis heute ein Rätsel … Aber henusode!

fs_usage, das Tool, das man im Hinterkopf behalten sollte.

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Montag, 1. Mai 2006

JSVP Bern auf Mitglieder-Suche


JSVP Bern –
Pub-Fest Münsingen

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Das kommt davon, wenn man sich (fast) ausschliesslich die bernische Tageszeitung Der Bund zu Gemüte führt: Erscheint in der Berner Zeitung ausnahmsweise ein süffig geschriebener Artikel, verpasst man ihn (fast).

Das Glück war mir aber heute, am Tag der Arbeit, dem linken Tag per se schlechthin, hold:

Die Junge SVP wirbt mit Frauen und Bier

Toll, was der Leser da über die einzig noch verbliebenen „rechten“ und strammen Burschen der Eidgenossenschaft (JSVP Bern) erfährt:

Erich Hess und seine Jungpartei suchen Neumitglieder am Bar- und Pub-Festival in Münsingen. […] Je später der Abend, umso besoffener sind die Leute: Männer, die laut lachen, und Pärchen, die sich küssen. Mittendrin: die Junge SVP, die erstmals in dieser Umgebung neue Mitglieder sucht.

Innovativ, das muss man den Denkern in der Partei (Widerspruch?) lassen …

Schon immer habe er [Beat Steiner aus Linden (1’348 Einwohner, davon 61 AusländerLinolschnitte und die professionell gestaltete Web-Site als Dorfattraktion), Automonteur-Lehrling, 18] politisch eine rechte Einstellung gehabt, sagt er und nimmt einen kräftigen Schluck Bier.

Beat, gut gemacht. Auch ich gönne mir jetzt einen Schluck Bier. Erstaunlicherweise scheint Bier eines der wenigen Brücken schlagenden Merkmale zu sein, das Leute aller Gesinnungen vereint. Biertrinker der Welt, vereinigt euch! Prost!

Der Eklat

Zwei aufreizend gekleidete Ukrainerinnen – die Freundin von Hess und ihre Kollegin – lächeln süss und mixen Getränke. In gebrochenem Deutsch werben sie rege und suchen nach neuen Mitgliedern für die Schweizerische Volkspartei.

Wie ernst kann man einen Eidgenossen vom Typ Erich Hess (Namens- und ideologischer (?) Vetter Rudolf Hess würde sich ob der Liason mit einer waschechten Bolschweistin im Grab erneut strangulieren wollen) eigentlich noch nehmen? Er, der die Vorteile der Personenfreizügigkeit uns allen vorlebt? Verliebtes Turteltäubchen – Nasdarovje, tyolka!

Einschub: Gibt es eigentlich Leute mit Namen Hess, die keine rechtsnationale Gesinnung haben?

Die Ausnahme bestätigt die Regel?

Keineswegs. Wer meint, dass Hess das schwarze Schaf seiner Partei resp. seiner ideologischen Gesinnung ist, täuscht sich. Ich kenne mindestens zwei (männliche) Personen, SVP-Wähler, mit ausgesprochenen Aversionen gegen Ausländer, die sich Osteuropäerinnen erfreuen oder erfreut haben.

Ein erschreckender Trend! Erodiert so die Basis? Sind sich die heimatschützerischen Personen bewusst, dass sie damit einer grenzenlosen Einwanderung von „Ostgesindel“ Vorschub leisten? Ein Freipass, damit wenig später die dreissig-köpfige Familie der Braut nachreisen kann?

Aber eben: Die endogenen Faktoren haben schon viele Imperien zu Fall gebracht …

Der Flyer

Zurück zum Pubfest in Münsingen:

Zwei so genannte Botschafter laufen durch die Leute und verteilen Flugblätter. Auf der Vorderseite ist ein Skelett mit einer Sense dargestellt, daneben steht: „Linke Politik kann tödlich sein.“ Auf dieser Seite sei das Schlechte abgebildet, sagt der 19-jährige Adrian Reusser aus Noflen. „Das Gute ist auf der Rückseite zu lesen.“ Dort steht das Parteiprogramm der Jungen SVP.

Rechte Politik ist tödlich. Oder deren Propaganda zumindest blödlich.

Stolz erzählt Hess seinem neu gewonnenen Parteimitglied Beat Steiner eine Anekdote. Ein Gleichnis, das er zuvor an diesem Abend im Stadtrat vorgetragen hat: „Ich erzählte am Rednerpult von Ameisen in meinem Zimmer, die sich unter dem Bett vom Zuckerwasser aus einer Limoflasche ernährten. Die Ameisen sind erst verschwunden, als ich die Flasche entsorgt habe.“ Genauso, sagte Stadtrat Hess, müsste man mit abgewiesenen Asylbewerbern umgehen. «Wir dürfen ihnen nicht immer mehr Geld geben. Denn wie die Ameisen bleiben die Asylbewerber dort, wo sie etwas erhalten.»

Genauso, sagt Mario Aeby, müsse man mit der Landwirtschaft umgehen. „Wir dürfen ihnen nicht mehr Geld geben. Denn wie die Ameisen bleiben die Bauern dort, wo sie etwas erhalten.“

(Sorry, liebe Bauern – aber ab einer derartigen Schwarz-Weiss-Malerei musste ich einfach zu ähnlichen Mitteln greifen. Die Achillesferse der Volkspartei ist und bleibt nun einmal die Subventionspraxis der schweizerischen Landwirtschaft. Auch wenn es vereinzelt Landwirte gibt, die nicht SVP wählen.)

Probleme sieht Glauser [SVP, Stadtradt Bern; stv. Pressesprecher SVP Schweiz] zudem bei den osteuropäischen Damen hinter der SVP-Bar. „Einerseits äussert sich Hess öffentlich gegen Asylanten und kämpft gegen die erweiterte Pesonenfreizügigkeit. Auf der anderen Seite beschäftigt er Ukrainerinnen.“ Dieser Widerspruch sei schwierig zu kommunizieren.

Quelle: Die Junge SVP wirbt mit Frauen und Bier

Fazit

Na, dann hoffen wir, dass die am Pubfest geworbenen Neu-Mitglieder den Aufwand (und den Gesichtsverlust) wert gewesen sind. Das sind Jungpolitiker mit Potential! Solange jedenfalls, wie das Bier am Stammtisch fliesst.

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Montag, 1. Mai 2006

Wirtschaft kritisiert den Staat

Rolf Schäuble, Präsident des Verwaltungsrat der Baloise-Holding (Arbeitgeber des frisch geschlüpften Bloggers Kollege Zgraggen), hatte an der Generalversammlung vom 28. April nicht nur Geschäftliches zu besprechen.

Die Hälfte seines Manuskripts befasst sich nicht etwa mit der uns allen bekannten Versicherung, sondern mit unserem geliebten und tollen Heimatland. Ihm scheint es – als Privatperson oder als Verwaltungsrat eines Versicherungskonzerns? – nicht sehr wohl hier. Er macht sich Sorgen. Um uns? Um sein Geschäft? Um seine Batzeli auf der Bank?

Für ihn krankt unser Land an allen Dingen, die Staatskritiker seit jeher herausposaunen. Als Ursachen unserer „Misere“ nennt er:

  1. Der helvetische Föderalismus
  2. Die öffentlichen Finanzen
  3. Den Steuern
  4. Liberalisierung des Binnenmarktes
  5. Zur Sozialpolitik

In etwa also alle Erungenschaften der letzten 150 Jahre. Vermutet haben wir es schon immer, dass früher alles besser war! Dank Schäuble wissen wir es nun endgültig.

Die Lösung auf all‘ unserer Probleme? Der allein selig machende Fahrplan ins Schlaraffenland? Dazu Schäuble:

  • Kostensenkung und Effizienzsteigerung der Volkswirtschaft durch Entrümpelung der Struktur und Abschneiden der Sozialstaats-Hydra
  • Senkung der Steuern und Vereinfachung des Steuersystems
  • Drastische Entschuldung aller politischer Ebenen
  • Liberalisierung des Marktes
  • Förderung des Bildungs- und Forschungsstandortes Schweiz durch Bündelung der knappen Ressourcen

Bon. Natürlich hat er nicht nur Unrecht.

Was ich mich aber frage: Wieso wird es der Wirtschaft eigentlich immer erlaubt, die Klappe so weit aufzureissen? Dauernd haben die etwas zu nörgeln – zu hohe Steuern, generell ein wirtschaftsfeindliches Klima, na nie, na na, et cetera. Und wagt es der Staat einmal, der Wirtschaft dreinzureden, spricht man gleich von Fledderei. Das mag man dann gar nicht, das gibt umgehend etwas auf die Finger. Vielleicht sollte man sich zuerst einmal auf die gleiche Ebene begeben, bevor man zu diskutieren beginnt. Die Wirtschaft hat zu oft das Gefühl, dass sie über allem und jedem steht. Unsere neue Religion. Wirtschaft, Wachstum, Profit. Und alle sind sie happy.

Liebe Wirtschaftsbosse, Verwaltungsräte und vergoldete Manager: Ich verstehe durchaus, dass die Wirtschaft einen hohen Stellenwert hat. Vielleicht werdet ihr gar oft schlecht behandelt, geschröpft, geschlagen, um eure Gewinne gebracht. Auch das Fussvolk straft euch mit Unverständnis: Wieso wollen die Proleten partout nicht verstehen, wie jemand 24 Millionen pro Jahr verdienen kann? Dabei verdienen die in Amerika doch auch so viel. Ein guter Punkt! Wir Schweizer vergleichen uns ja in allen Belangen mit den Amis. Das sind unsere grosse Vorbilder. Hip-Hop, Vorstadt-Ghettos, deren schlagkräftige Armee, die fremden Kulturen ausnahmslos mit Respekt entgegentritt. Oder denkt nur an deren Präsident. Sogar ein Flugzeugträger würde knapp auf den Thunersee passen. Die Kampfflugzeuge haben wir jedenfalls vorsorglich bereits angeschafft. All das hätten wir doch so gerne auch hier, in unserer Schweiz. Mann, dann hätte die Wirtschaft Freude. Die würde uns einen Tag frei geben, so Freude hätte man in den Chefetagen. Einige von uns müssten auch am übernächsten Tag gar nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Schliesslich steigt die Produktivität kontinuierlich, da sollte man in einem gesunden Rythmus mit dem Besen kehren gehen. Eine Verjüngung tut immer gut. Und schliesslich hat noch nie jemand wiederlegt, dass man mit 80% der Beschäftigten nicht 120% der Arbeit erledigen könnte.

Aber denkt daran: Im Gegensatz zu euch hat der Staat einen deutlich grösseren Aufgabenbereich als ihr. Der Staat hat sich nämlich um die Arbeitenden zu kümmern, sobald diese die geheiligten Werkstätten des stetig steigenden Profits verlassen. Wir mögen zwar ein Drittel unseres Alltages bei euch, erhabenen Unternehmern verbringen, zwei Drittel unserer Zeit aber leben wir im (vom?) Staat. Dort gelten dessen Gesetze, die nicht nur rein an Profit ausgerichtet sind. Dort geht es nicht nur darum, die Shareholder zufrieden zu stellen. Da muss Strom in die Hütte kommen, Strassen unterhalten, Umweltschäden verhindert, aber doch all zu oft nachträglich behoben werden. Nicht zuletzt, weil ihr Wirtschafts-Heinis jederzeit bereit seid, für Profit auch die Umwelt zu opfern. Denn kommt es zur Katastrophe, bezahlt ja bekanntlich nicht die Wirtschaft, sondern der Staat. Der stellt die Zivilschützer, die Armeeangehörigen, die Bagger, die dann aufräumen können, während ihr eure Batzeli zählt. Auch sonst: Von jemandem müssen ja die Züge, das Rollmaterial und die Trasses gewartet werden. Die Gesetze geschaffen, aber deren Einhaltung auch kontrolliert werden. Klar, könnte man alles privatisieren. Nur bin ich hoffentlich nicht der einzige, der sich vor einer total privatisierten Welt fürchten würde. Irgendwie kann ich, auch nach jahrelangem Herunterlaben des ewigen Mantras, nicht glauben, dass mir private, an Profit orientierte Unternehmen immer, jederzeit einen besseren Service bieten werden, wie er bisher von Staatsunternehmen geboten wird. Auch wenn wir Gesetze haben, die Vorschreiben, dass bis in jedes Bergkaff Glasfaser gezogen werden müssen. Und wenn es die Unternehmen nicht machen möchten? Zeigen sie uns die langen Nasen, und die Sache ist gegessen.

Vergesst nicht: Die Baloise mag alt sein. Noch älter ist aber der Bundesstaat, noch älter die Eidgenossenschaft, und sowieso unsere Gesellschaft. Wie sagt man so schön: Das Alter soll man Ehren. Wenn ihr mal dieses stattliche Alter erreicht habt, können wir wieder über besonders intelligente Einfälle sprechen. Aber bis es soweit ist, vergehen noch ein paar Jahrhunderte.

Ob die Baloise die Aufgaben des Staates übernehmen könnte? Mit dem tollen Verwaltungsrat und all den Wirtschaftsfachleuten sowieso, denkt ihr. Überschätzt euch lieber mal nicht … Versicherungen zu verkaufen ist das eine, einen Staat am Laufen zu halten etwas völlig anderes. Da sind schon viele auf die Welt gekommen.

Nachtrag – Repräsentation

Nicht zu vergessen: Ein Unternehmen – noch so global, noch so allumfassend – wird jemals von sich behaupten können, das Volk oder die Mehrheit davon zu vertreten, geschweige denn seine Interessen wahrzunehmen. Anders als im politischen System, wo wir Bürger immerhin noch ein klitzekleines Millimeterchen das Gefühl bekommen, dass wir (durch Wahlen und Abstimmungen) etwas verändern, bewegen, bewirken können, sind Unternehmen nicht demokratisch gewählte Gebilde. An der Spitze sitzen die feinen Herren, die „old-boys-networker“, die „Filzläuse“ – oft durch Leistung aufgestiegen, noch öfters durch andere Faktoren in die Chefetage gepurzelt (braune Zunge etc.). Wenn sie oben ankommen, hat der Grossteil dieser „Manager“ die Bodenhaftung verloren, wohnt in Zürich Herrliberg, fährt teure Autos, bezahlt in einem Jahr soviel Steuern, wie ich wohl in meinem ganzen Leben. Kurz: Von den Sorgen und Nöten eines Normalverdieners (ohne goldenen Fallschirm, Aktien-Optionen, selbst beim unrühmlichen Abgang) verstehen solche Leute gar rein nichts mehr. Sie sind in ihre Laufbahn in höhere Sphären vorgestossen, wo Steuerfuss, Mergers, Expansionen, Produktivitätssteigerungen und Restrukturierungen eine Rolle spielen.

Es nähme mich wirklich Wunder, wer sich besser vertreten fühlte: Der Angestellte eines Unternehmens durch das Management oder der Bürger einer Demokratie, insbesondere der schweizerischen direkt-demokratisch-föderalen Demokratie. Denn, eines bleibt: Ich als Arbeitnehmer kann gefeuert werden. Dass so etwas jemals einem (rechtschaffenen) Bürger eines westlichen Staats passiert ist? Nä, denke nicht.

Via: Basler gegen den Föderalismus

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