Ernährungssouveränität? Spinnen die?
Quelle: arlesheimreloaded-manfred-messmer – Nehmen wir die SVP zum Nennwert
Als angehender Historiker, der in seiner Lizentiatsarbeit („Missernte 1916/17 in der Schweiz“) auch ausführlich auf den Selbstversorgungsgrad der Schweiz im Ersten Weltkrieg eingegangen ist, musste ich gestern ob den Worten Toni Brunners den Kopf schütteln. Egal was der St. Galler Bauer und SVP-Parteipräsident raucht, er sollte schleunigst damit aufhören!
Gerade er als (Meister?)Landwirt sollte doch um Gottes Willen wissen, wie viel die Schweiz ihres Grundbedarfs an Nahrungsmitteln importieren muss. Damit nicht genug, hinzu kommen riesige Mengen an Treibstoff, Dünger, Pestiziden und Futter, die offensichtlich auch Bauern geflissentlich aus ihrer Rechnung ausblenden.
Man muss sich nun wirklich nicht lange mit der industrialisierten Landwirtschaft auseinandergesetzt zu haben, um zu realisieren, dass die Schweiz schon nur ohne fossile Energieträger (damit meine ich aber nicht nur Diesel für die Traktoren, sondern auch Grundbausteine von Dünger) landwirtschaftstechnisch komplett am Arsch wäre.
Hinzu kommt, dass wir Unmengen an sogenannt veredelten Nahrungsmitteln produzieren (Milch, Käse, Fleisch). Für eine tierische Kalorie herzustellen, sind zwischen 5 bis 10 pflanzliche Kalorien nötig. Um die Ernährung von 7 Millionen Menschen auch nur annähernd sicherzustellen, müssten wir folglich allesamt über Nacht zu Vegetariern mutieren, um die Verschwendung von Getreide, Mais etc. an Nutztiere zu stoppen.
Etwas, was das letzte Mal im Zweiten Weltkrieg versucht wurde. War Wahlens Anbauschlacht ein Erfolg? Wenn man die Mythisierung der geistigen Landesverteidigung von der Anbauschlacht abschält, bleibt
Immerhin stieg der Selbstversorgungsgrad von 52% auf 59%, verbunden allerdings mit einer Senkung der durchschnittl. Kalorienmenge pro Person von 3’200 auf 2’200 kcal.
7 mickrige Prozent! Es darf angenommen werden, dass der Selbstversorgungsgrad des Landes heute noch viel niedriger liegt.
Was gedenkt also die SVP zu tun? In meinem Bücherregal habe Herbert Backes „Um die Nahrungs-Freiheit Europas“ stehen. Erschienen 1943 — im Dritten Reich. Ob die dort angepriesen Lösung für das Problem der Nahrungsmittelknappheit („Lebensraum im Osten“) von unserer SVP wirklich verfolgt werden möchte, wage ich zu bezweifeln.
Auch ein Strukturwandel hin zu pflanzlichen Erzeugnissen wäre im derzeitigen „Agrarfreihandel“ reiner Selbstmord — Schweizer Bauern können auf Grund der Kleinräumigkeit der Höfe und des Landes nun mal nicht zu den Preisen Getreide produzieren, wie es die USA oder Argentinien tun.
Ich bin also gespannt, welches Patentrezept die SVP aus dem Ärmel schütteln wird.
4 Kommentare Kommentare
Es geht ja letzlich nur darum, die protektionistische Landwirtschaftspolitik irgendwie auf positive Weise mit den (sonst mehr oder weniger liberalen) SVP-Prinzipien zu vereinbaren und sich so die landwirtschaftliche Wählerschaft zu sichern.
Und auch wenn Brunner Unsinn erzählt, muss man ihm eines zugute halten: jeder normale Bürger weiss, woran man ist in Sachen Landwirtschaftspolitik, wenn man ihn und seine Partei wählt. Das weiss man bspw. bei der SP und insb. bei Levrat nicht so genau.
Ich war heute Abend am Diskussionsabend der lokalen SVP mit Ueli Maurer.
Er hat erwähnt, dass der Selbstversorgungsgrad derzeit bei rund 55% liegt.
Danke für die Info — statt auf den Hometrainer hätte ich wohl auf den Hoger pilgern sollen, eh? Das nächste Mal bietest du mich bitte auf, dann gehen wir zu zweit ;-)
Danke für deine Notiz. Meine weitergesponnenen Überlegungen: Von den 55 % sind vermutungsgemäss so gegen 80 % tierische Erzeugnisse (Fleisch, Milch, Käse) und nur 20 % Getreide … Aber ich mag mich täuschen.
Voila, hatte ich doch zumindest tendenziell recht:
Entwicklung des Selbstversorgungsgrades aus Agrarbericht