Posts Tagged ‘Risiko’

Sonntag, 12. September 2021

Tweets, die man lieber nicht abgeschickt hätte. Heute: Reto Lipp, SRF

Ich glaube wir sind in der Diskussion auf dem richtigen Weg, wenn wir aus der Risikomanagement-Lehre den Impact (die Auswirkungen, die Schwere eines Ereignisses; hier: Tod) und die Probability (Eintretenswahrscheinlichkeit über einen bestimmten Zeitraum) zweier Optionen miteinander vergleichen.

Doch ich verstehe nicht ganz, wer für den Stuss hier verantwortlich ist — Niall Ferguson, ein etwas erfolgreicherer Historiker als ich, der inkoherent etwas zusammenlabert, oder Reto Lipp, der unvollständig oder falsch zitiert/übersetzt.

Liest man diesen Tweet wortwörtlich, hat jemand eine Chance von 10 Prozent, an Covid-19 zu erkranken. Für wen gilt diese Zahl? Mann, Frau, Alter, Standort, sozialer Status, andere Erkrankungen usw. usf. Über welchen Zeitraum hinweg? Ehrlich gesagt gehe ich nach derzeitigem Wissensstand davon aus, dass jeder Mensch auf diesem Planeten (mindestens) einmal von SARS-CoV-2 infiziert werden wird.

Will Ferguson sagen, dass zehn Prozent aller Infizierten dann tatsächlich auch Erkranken? Und: Erkrankung ist für mich zu undifferenziert: Asymptomatisch (die in der Pandemie erfundenen „Gesunden Ungesunden“)? Ein leichter Husten? Hospitalisierung? Intensivstation? Long Covid? Man weiss es nicht.

Spätestens aber der Vergleich mit der Impfung macht absolut keinen Sinn mehr, wenn man Lipps Tweet wortwörtlich nimmt: Habe ich eine Chance von 1 zu 10’000, geimpft zu werden? Bei einer Impfquote von schweizweit über 50 Prozent? Ob man geimpft wird oder nicht ist kein statistisch verteiltes Ereignis, sondern hängt direkt mit der Willensbekundung einer Person ab. Entweder organisiert man sich einen Termin und lässt sich impfen, oder aber man entscheidet sich dagegen.

Ich versuche jetzt zu erraten, was Lipp (oder: Ferguson?) eigentlich sagen wollte:

Über den Zeitraum des Ausbruchs der SARS-CoV-2 „Pandemie“ bis heute betrachtet, stirbt einer von zehn Infizierten (10 Prozent). Einer von zehntausend (0.01 Prozent) stirbt an der Impfung. Für welches Tor entscheidet ihr euch?

Obwohl nun sauber ausgelegt macht alles weiterhin keinen Sinn, denn: Ich weiss nicht, von wo diese Zahlen stammen sollen, aber sie erscheinen mir beide kreuzfalsch. Keine Gesundheitsbehörde der Welt würde bei einer solchen „Pandemie“ eine Impfung zulassen (auch nicht unter Notzulassung), welche einen von zehntausend Impflingen tötet (bei der Beulenpest, die 30 Prozent der Bevölkerung umbringt, sähe es wohl anders aus). Genau so wenig sterben 10 Prozent an einer SARS-CoV-2-Infektion. Die Infection Fatality Rate bewegte sich in einer im März 2021 publizierten Auswertung der WHO global bei 0.15 Prozent (Quelle). Ich glaube nicht, dass sich an dieser Zahl seither massivstens etwas geändert hat.

Nachtrag: In die Impfvariante nicht miteinberechnet wurde zudem, dass auch geimpfte Leute sich weiter infizieren können, erkranken können und einige davon (wie viele?) an Covid-19 sterben werden.

Fazit: Liegt der Fehler bei Ferguson, sollte er sich überlegen, sich bei der quantitativen Geschichtsschreibung von einem Zahlenprofi unterstützen zu lassen. Falls Lipp der Fehler unterlaufen ist, sollte er den Tweet löschen und dann noch einmal sauber und korrekt aufschreiben.

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Freitag, 2. April 2021

Die Risikoabteilung trägt keine Risiken

(Trigger-Warnung: Es folgt sehr viel Fachenglisch)

„Denn die Risikoabteilung ist, wie es immer heisst, für die Einhaltung der Richtlinien und Rahmenbedingungen verantwortlich, nicht aber für die Risiken selber.“

Quelle: Andrew Isbester: «Die Risikomanager werden meistens überstimmt»

Das ist der Compliance-Blickwinkel … aus meiner Sicht ist die Risikoabteilung insbesondere dafür verantwortlich, den Risk Ownern im Business (der sog. „First Line of Defense“) (1) die Risiken transparent aufzuzeigen, (2) (gegebenenfalls) mögliche Massnahmen aufzuzeigen und (3) die Risk Owner schlussendlich entscheiden lassen, wie sie die aufgezeigten Risiken adressieren möchten (sprich: accept, transfer, mitigate oder avoid).

Zum Schicksal eines Risikomanagers an Sitzungen:

Alles was der Risikomanager vorbringt, wird von den Bankerkollegen abgeschmettert – zu Gunsten eines lukrativen Geschäfts. Die allerbesten Kundenberater machen das so, dass sich der Risikomanager mit der Zeit so richtig blöd und überflüssig vorkommt. Und wenn das Quorum eine einfache Mehrheit ist, dann kann der Risikomanager sicher sein, dass alles, was er vorbringt, überstimmt wird.

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Dienstag, 15. Dezember 2020

Elf Monate Corona in der Schweiz: Wann kommt endlich der risikobasierte Ansatz?

Die Schalmeienklänge eines zweiten Lockdowns werden immer lauter. Alain Berset und sein BAG arbeiten eng mit der PR-Agentur ihrer Wahl zusammen, um die beabsichtigte Verschärfung salonfähig zu machen. Vermutlich haben die Ringier-Journalisten zu Beginn der Pandemie ein Pult in Alains Bundesratsbüro beziehen dürfen und sind jetzt Best Buddies

Ich hebe schüchtern die Hand und Frage in die Runde: Schaut sich in Bundesbern und in den Redaktionsstuben eigentlich irgendjemand die Grafiken an, die Laien seit Monaten erstellen und allen Interessierten im Internet zur Verfügung stellen? Insbesondere diese hier:

Quelle: Corona Fälle in der Schweiz nach Alter / Cases of Coronavirus in Switzerland by age (Geschlecht: Alle, Dataset: Todesfälle, Zeit: Ganze Pandemie)

Wer die Grafik nicht versteht: Stand heute waren 5237 der insgesamt 5691 SARS-CoV-2-positiven Toten über 70 Jahre alt, das entspricht 92.1 Prozent aller Toten.

Ich frage weiter: Wann endlich beginnen wir mit gezielten, risikobasierten Schutzmassnahmen in der Alterskategorie der grossen Mehrheit der Toten? Massnahmen, die mittels wissenschaftlicher Ansätze der alten Schule permanent verfeinert und immer effektiver gemacht werden?

Ein Auto ohne Knautschzone und Sicherheitsgurten kann man zwar sicherer machen, indem ich alle anderen Autos im Strassenverkehr nur noch mit Tempo 30 fahren lasse und vielleicht sogar Kontingente einführe, wer wann überhaupt Auto fahren darf. Ein risikobasierter Ansatz wäre hingegen, das sicherheitstechnisch unbefriedigende Auto sicherer zu machen — Gurten, Airbags, Abstandswarner und intelligente Autopiloten einzubauen, und — man verlaube es mir — dieses Geschwindigkeitstechnisch so abzuriegeln, dass es nur noch auf Landstrassen gefahren werden darf.

Stattdessen fährt man seit neun Monaten den völlig gegenteiligen (aus meiner Sicht: sinnbefreiten!) Ansatz: Diejenigen, die ein vernachlässigbares Risiko haben, an Covid-19 zu sterben, mussten bisher den grössten Teil der Massnahmen über sich ergehen lassen. Und die Wirtschaft, insbesondere die Gastronomie, Hotellerie und Veranstaltungsunternehmungen, werden über kurz und lang in den Konkurs gebombt.

Dass es Politiker und Gesundheitsexperten gibt, die das Problem erkannt haben, zeigt das Beispiel aus der Stadt Tübingen. Die Stadt geht einen anderen Weg:

Menschen jenseits der 60 müssen dort nicht mehr mit Bussen und Bahnen fahren, sondern können sich zum Nahverkehrstarif ein Taxi rufen, das Gesundheitsamt verteilt in großem Stil die deutlich besseren FFP-2-Masken an Senioren – und in den Supermärkten der Stadt können ältere Kunden dank spezieller Einkaufszeiten mit weniger Gedränge an den Vormittagen vergleichsweise sicher einkaufen.

Gepaart mit den üblichen Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln sowie einer konsequenten Teststrategie in Heimen und mobilen Pflegediensten hat Oberbürgermeister Boris Palmer die Lage so zu überschaubaren Kosten von bislang rund 500.000 Euro besser im Griff als viele andere Städte.

Quelle: Corona-Maßnahmen: Tübingen macht es besser – und schützt seine Alten

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Labels: Gesundheit, Schweiz

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Sonntag, 25. Oktober 2020

Helm, eh, … Maske auf!

(Das Photo wurde im September 2020 von meiner Frau in Nürnberg geschossen, als ich mir nach dem Abendessen im Bratwursthäusle bei Tafelzier noch ein Dessert gönnen wollte)

… aber wenn ich mit Maske UND dem Velohelm auf dem Kopf in den Globus Lebensmittel in Bern gehe, schauen mich alle komisch an! Dabei kann sowohl eine Corona-Infektion als auch auf-den-Kopf-fallen zum Tode führen. Die Wahrscheinlichkeit ist vermutlich in beiden Fällen verschwindend klein. Aber auch ich freunde mich langsam mit dem Null-Risiko-Ansatz an.

Spass beiseite: Ich weiss, ich weiss: Ich trage die Maske, um die vulnerablen Mitmenschen vor potentiellen Corona-Aussonderungen zu schützen.

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Labels: Gesundheit

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