Montag, 29. August 2005, 20:28 Uhr

Herr Sigg, die Schweiz braucht kein (weiteres) Portal!

Seit dem 1. August ist Herr Oswald Sigg, Sozialdemokrat (also sozusagen ein „Tovarish“ von mir) sowie Mattebewohner, Vizekanzler in unserem kleinen und beschaulichen Land.

Erben tut er unter anderem auch das Möchtegern-Portal Ch.ch von seiner Vorgängerin (und Genossin!), Frau Hanna Muralt. Leider haben sich meine Hoffnungen aufgrund des personellen Wechsels aber überhaupt nicht bestätigt: Auch er braust mit Volldampf weiter in Richtung Zukunft durch die Nacht – Ziel ungewiss. Eines ist aber klar: Anstelle das Scheitern und die Sinnlosigkeit des Projektes einzusehen und die Segel zu streichen, wird im Gegenteil versucht, mit noch mehr Geld und noch mehr Aufwand das Themengebiet des Portals zu erweitern – und kommt so der eierlegenden Wollmilchsau immer näher. Mir kommt es vor, als hätte die Swissair nach ihrem Konkurs bekannt gegeben, ihre Flotte zu verdoppeln – denn mit mehr Flugzeugen kämen die Passagiere dann von alleine, so das Credo des Managements (und den von mir so geliebten McKinsey-Beratern).

Hätte ich eine Frage, die ich an die Guichet-Virtuel/Ch.ch-Leute stellen könnte, wäre dies:

Wieso benötigt man im Zeitalter von Google noch Portale? Ist der Nutzen von Portalen jemals wissenschaftlich untersucht und bestätigt worden?

Letztere Frage kann mit einem fundierten Artikel des Usability-Gurus Jakob Nielsen beantwortet werden. Kurz und bündig: Internet-Portale sind für die Katz‘. Oder kann sich jemand meiner Leser erinnern, wann er das letzte Mal auf einem Portal war? Ich jedenfalls nicht – gibt eben (fast) keine mehr! Der Evolutionstheorie folgen (Stichwort: survival of the fittest), sollte dies genügend grosse Ausrufe- und Fragezeichen aufkommen lassen.

Ich werde nachfolgend nur die wichtigsten Passagen aus seiner Arbeit rezitieren und in einer für Beamten leicht erfassbaren Formatierung darstellen:

… The entire concept of portals started during the Internet’s bubble era, …

Wer sich nur ein ganz wenig mit der Materie auskennt, weiss, dass beim Auftreten des Schlagwortes bubble era (oder auch: Dot-Com-Boom) die Würfel schon gefallen sind. Es gibt absolut keine, aber wirklich keine Möglichkeit, angesichts solcher Aussagen noch mehr als einen Gedanken und einen Rappen in solche Projekte zu investieren. Der Verlust ist schon jetzt garantiert.

… Yahoo is still going strong, but most other portals are now either dead or have scaled back their ambitions and focused once again on search.

Aber das Bundesbern weiss es ja immer besser … Es geht halt doch um einige Arbeitsplätze.

… Given the miserable track record of Internet portals, …

Klingelts langsam?

Second, a general website is restricted to offering generic services that will appeal to many users. Truly specialized services are rarely available on an Internet portal, despite the fact that people benefit more from services that meet their exact interests than from those that are the same for everybody.

Anstelle die Themengebiete des Portals weiter auszudehnen und immer mehr Informationen für immer mehr Gruppen anzubieten, sollte Ch.ch besser zusammen mit Universitäten im Land Forschung betreiben und federführend werden in personalisierten Lösungen.

Im aktuellen Newsletter des Beschäftigungsprogrammes lesen wir so:

… Bürgerinnen und Bürger können jederzeit direkt mit den Behörden in Kontakt treten, ihre Anliegen vorbringen, und sie erwarten im Gegenzug rasche Antwort. Die Vernetzung der Angebote von Bund, Kantonen und Gemeinden ist dabei eine wichtige Voraussetzung (und eine grosse Herausforderung) für einen einfachen Zugriff auf das Informations- und Dienstleistungsangebot der Behörden. …

Meine Forderung deshalb an Herrn Sigg: Ersparen Sie uns, den Steuerzahlern, Millionen von Franken und eine Menge Kopfschmerzen. Überdenken Sie, was Ihre Vorgänger aufgegleist haben, lassen Sie von Profis überprüfen, ob der Hund wirklich in Portalen begraben liegt und unser Volk diese Anlaufstelle wirklich braucht. Der einfache Zugriff – dies ist wirklich ein Schlagwort, das ich auch sofort unterschreiben könnte. Der Bund muss hierzu aber nicht als Winkelried an der Front mitmarschieren, sondern im Hintergrund all die Tausenden von Gemeinde-Websites auf denselben Stand bringen. Er muss den Gemeinden Informationsmaterial liefern, wie Inhalte angeboten und präsentiert werden müssen, damit wir Normalos, aber auch Behinderte und Ausländer, die Angebote effektiv und produktivitätssteigernd nutzen können. Damit die Schalteröffnungszeiten endlich der Vergangenheit angehören, damit neue Technologien entwickelt werden, wie mit der Gemeindeverwaltung rund um die Uhr kommuniziert werden kann. Und nicht irgend so ein weiteres, blödes Portal, das auf alles und doch nichts verlinkt.

In meinen früheren Blog-Artikeln zum Thema (Guichet Virtuel Revisited,Ein Lob auf unsere IT-Beamten) habe ich ja bereits meine These geäussert. Gerne wiederhole ich sie hier noch einmal:

Die Idee von Ch.ch entstand noch in der Boom-Phase der Internet-Industrie. Die Parlamentarier und Bundesbeamten waren verzweifelt auf der Suche nach einem Betätigungsfeld, um sich nicht vorwerfen zu lassen, den Trend vollends verschlafen zu haben (passiert sowieso immer). Ch.ch war also primär mal als Feigenblatt gedacht, um all den Internet-Marketing-Consultants sagen zu können: He, seht her, auch wir sind dabei.

Zünden wir also ein Kerzchen an – auf die späte Vernunft.

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