Gestern Mittwoch-Abend durfte ich in der Pathé Arena in einem Aussenbezirk Amsterdams mit hunderten anderen Fans an der Premiere des lang erwarteten Star Trek-Streifens beiwohnen. Der Kinobetreiber spannte dabei mit dem niederländischen Star Trek-Fanverein Federation.nl zusammen, um uns Gästen etwas besonderes zu bieten. Zum einen war ein DJ engagiert worden, der die eintreffenden Gäste mit House-Beats beschallte. Zusätzlich war auch eine Event-Agentur vor Ort, die die Gäste durch einen gesonderten Eingang in den Kinosaal lotste (Aus Angst vor Vogel-Grippe? Auf Grund der Menge der Personen? Oder weil Star Trek-Fans einfach nicht kompatibel zu anderen Kinogängern sind? Man wird es wohl nie herausfinden …). Vor dem Kino bildete sich folglich eine lange Schlange, aus welcher ich hie und da etwas twitterte (siehe Twitter oder Facebook). Unter anderem sah ich dort den ersten „Idioten“ (ein aus dem Moment heraus entstandener Begriff) in der roten Star Trek-Uniform aus dem zweiten Kinofilm. Es sollte nicht der letzte verwirrte Zeitgenosse gewesen sein: Am Ende des Films, als ich mein Mobiltelefon aus der Geiselhaft erlöste, stand ich tatsächlich neben einem anderen verblendeten Fan, der sich in die dunkelblaue Enterprise-Kluft geschmissen hatte. Sogar ein entsprechendes Baseball-Cap bedeckte sein Haupt.
Item – alles der chronologisch korrekten Reihe nach (wir wollen uns ja nicht an den Drehbuchautoren orientieren): Bevor der gemeine Trekkie das Kinogebäude betreten konnte, hatten sich die sonst doch so menschenfremden Trek-Geeks durch eine Horde Spalier stehender Mädchen (Motto war wohl Netherland’s Next Topmodel – also hauptsache blond, hübsch und schlank) durchzukämpfen. Ihre Aufgabe war aber nicht nur hübsch auszusehen, sondern auch alle 1-2 Minuten den Fans frenetisch zuzujubeln und Fotos von uns zu schiessen. Nachdem das Ticket dem prüfenden Blick des Türstehers stand gehalten hatte, erhielt man ein Cüpli in die Hand gedrückt und durfte mit der Rolltreppe in den dritten Stock verschieben.
Die Leute, die vor wenigen noch vor mir in der Schlange gestanden waren, standen nun erneut in der nächsten Schlange. Wieso? Die paranoiden Betriebswirtschaftler von Paramount hatten doch tatsächlich die grandiose Idee, allen Kinogängern Handies und Digitalkameras abzunehmen (man hätte den Film ja mit etwa 160 mal 120 Pixeln abfilmen können). Mit einem Nümmerchen versehen wurde mir mein Tor zur (Twitter-)Welt abgenommen – zu umso grösseren Lachern führte die nach den Trailern gezeigte Mahnung, doch die Mobiltelefone aus- oder auf stumm zu schalten.
Doch dann hatte ich endlich alle Proben bestanden und … war drin! Ein überaus freundlicher Kinoangestellter drückte mir noch einen Kübel Popcorn in die Hand – Geschenk des Hauses. Und ebenso erstaunlicherweise waren auch alle Getränkehalter mit Getränken gefüllt – schick, was das Kino hier alles springen liess, um uns ein unvergessliches Erlebnis zu liefern! Wir Trekkies scheinen eine zahlungskräftige und äusserst einfach kommerziell zu blendende Zielgruppe zu sein …
Zu meiner ganz persönlichen Kritik – aber ACHTUNG: Der nachfolgende Text enthält Spoiler!
Positives
- Nach Jahren des Wartens kommt endlich wieder ein (handwerklich!) würdiger Star Trek-Film in die Kinos. Generations war so so lala – umso besser war dafür First Contact, den ich als klar überzeugendsten Streifen der Next Generation-Crew in Erinnerung behalte – so jung, und doch schon ein Klassiker. Von den zwei nachfolgenden Filmen (Insurrection und Nemesis) sprechen wir jetzt lieber nicht – schon nur, weil ich diese noch nie ganz gesehen habe.
- Das Drehbuch (zur Story siehe nachfolgend) ist sehr gut – gute Dialoge, gewürzt mit viel Witz.
- Die Schauspieler haben allesamt eine gute Leistung hingelegt und hätten ausreichend Potential, ein oder mehrere Sequels hinzulegen. Von einer Serie wage ich – nicht zuletzt wegen dem Enterprise-Debakel – nicht zu träumen.
- Die CGI-Effekte gefallen – State of the Art.
- Der Film ist actionlastig und auch sonst über weite Strecken süffig erzählt – ich habe mich nur genau an einem Ort gelangweilt: Techno-Babbel auf der Brücke zwischen Spock und anderen Crew-Mitgliedern.
- Geile Grabschhände, Kirk!
- Chekov spielt den Kaspar im Umzug – aber mir gefiel es. Deutlich besser als bspw. diese (eher unabsichtliche) Lachnummer „Wesley Crusher“ von TNG.
- Rohre, Stahlträger – die Enterprise kommt nun viel mehr wie ein Marineschiff als ein mit marmorfliesenüberzogener Luxuskreuzer daher.
Negatives
- Das Pathé Arena IMAX prahlt im Intro von 12’000 Watt. Das mag sehr wohl sein – meine Ohren hätten es aber geschätzt, wenn es nur 6’000 Watt gewesen wären.
- Wir bekommen Spocks „Kindergartenliebe“ zu Gesicht – eine B-Story, die man in einem Sequel weiter aufarbeiten kann. Meines Wissens wurde diese Affäre/Romanze aber in TOS nie diskutiert. Oder war das Mal ein folgenfüllender Stoff? Ein weisser Vulkanier und eine Schwarze – in einer Fernsehserie der 1960er? Kann ich mir nicht vorstellen … Andererseits soll der Kuss zwischen Shatner und Nichols der „first interracial kiss on TV“ gewesen sein.
- Die Tonspur des zweiten Trailers lief bei mir tagelang in einer Endlosschleife. Leider ist vom hinreissenden Soundtrack im Film nichts mehr zu hören – äusserst schwache Leistung des amerikanischen Komponisten mit italienischem Nachnamen, obwohl der Trailer viel Hoffnung auf einen anständigen und bewegenden Score machte.
- Mich nervt langsam, dass in anscheinend kein Star Trek-Film mehr ohen Zeitreisen auskommt. Ich verstehe, dass die Autoren so deutlich grössere Möglichkeiten haben, aus dem mittlerweile doch engen Korsett auszubrechen. Doch die Autoren, die den nächsten Star Trek ohne Zeitreisen zum Knaller hinkriegen, verdienen einen halben Oscar.
- Dank den zwei von J.J. Abrams mit an Bord geholten Schreiberlingen steht das Star Trek-Universum Kopf. Die ganzen letzten 40 Jahre Star Trek-Serien- und Filmgeschichte sind mit dieser beschissenen Aktion ausgelöscht. Noch schlimmer: Jetzt muss man sich auch nocht mit zwei Spocks herumschlagen. Aber halt: Gibt das kein Paradoxon?
- Ein positiver Nebeneffekt hat das Ganze, falls J.J. auf einen TV-Spin-Off tendiert – da die Drehbuchautoren unüberlegt den Reset-Knopf gedrückt haben, ist ausreichend Platz da, um sich im Star Trek-Universum mal so richtig auszutoben. Selbstverständlich nicht unbedingt zur Freude der alteingesessenen Trekkies.
- Wie nach Star Trek IV-Manier gibt der alte Spock Wissen aus der Zukunft weiter. Immer ein Zeichen dafür, dass die Drehbuchautoren sich unheimlich verfahren haben. Ein anderer, deutlich wortgewandter Kritiker meint diesbezüglich: „is there anything a transporter can’t do?“. Die Notausfahrten, die von den Schreiberlingen genommen werden, gehen munter weiter: Beispielsweise auch, als Kirk den alten Spock zufälligerweise in einer Höhle auf einem riesigen Eisplaneten entdeckt … wirklich unglaublich – der richtige Planet, die richtige Höhle zur richtigen Zeit. Mensch Kirk! Oder die so verdammt nahe liegende Schlussfolgerung, dass irgendein doofer elektronische Sturm über Vulkan zwangsläufig ein Nebeneffekt von Neros Anwesenheit ist …
- Der System-Entwickler der Enterprise-Software war wohl so gelangweilt, dass er eine schicke Kollisionsroutine geschrieben hat, die genau berechnet, wann eine Kollision bevorsteht – und dies äusserst schön auf dem Hauptschirm anzeigt.
- Fand dieser rockige Hintergrundsound nach der Schlägerei in der Bar nur deshalb Einzug in den Film, um danach neben dem Score auch noch einen Soundtrack zu veröffentlichen?
- Die Sternenflotte besteht aus ausgesprochenen Dilettanten: Wieso konzentriert man seine Flotte in einem abgelegenen Sektor – just dann, wenn ein Angriff aus der Zukunft ansteht?
Bruchstückchen
(die mir in Erinnerung geblieben sind)
- Wohl als Hommage an die TOS-Serie geht bei einem Ausseneinsatz genau diejenige Person der Crew drauf, die man zu Beginn des Einsatzes zum ersten Mal zu Gesicht bekommt.
- Spock verbannt Kirk in einem umgebauten Torpedo auf den Eisplaneten – was an die „Beerdigung“ Spocks in Star Trek II erinnert.
- Kobayashi Maru! Jetzt also wissen wir, wie es Kirk hingekriegt hat: Einen Apfel essend …
- Scotty ist so ein Witzbold! Schade, dass er erst in der zweiten Hälfte des Films auftaucht.
- Den im Film versteckten Tribble („Wo ist Walter?“) habe ich leider nirgends entdeckt
Fazit
Dieser Film muss nicht nur von Trekkies geschaut werden, sondern kann durchaus auch den Kollegen und der Freundin zugemutet werden, ohne dass diese in der Hälfte der Vorstellung einschlafen. Am Streifen ist aus handwerklicher Sichts nichts auszusetzen, dafür sind die Implikationen bezüglich der Vernichtung Vulkans umso schwerwiegender: Dadurch haben sich die letzten vierzig Jahre Star Trek-Geschichte(n) vaporisiert. Obwohl ich den Drehbuchautoren durchaus viel, viel, viel künstlerische Freiheit zugestanden habe, um endlich wieder mal einen guten Star Trek-Streifen im Kino zu landen, wurde das Star Trek-Universum von Orci und Kurtzman geschändet. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob diese Vergewaltigung des Stoffes wider erwarten Früchte tragen sollte.
Zu Guter Letzt
- Bei Rottentomatoes räumt der Streifen 93% ab – ein beachtliches Resultat!
- Ich überlege mir gerade, wie viel Prozent des Films man aus den in den HD-Trailern gezeigten Szenen rekonstruieren kann …