Gestern hat die Rundschau mit dem Beitrag über Biometrische Pässe einen neuen Tiefpunkt erreicht (Dank: irgendein Twitterer da draussen). Zwanghaft wurde versucht, die Gegner des biometrischen Passes mit einer christlichen Sekte in Verbindung zu bringen. Anstelle dass die Sendung auf Fakten basiert die Vor- und Nachteile des neuen Passes aufgezeigt hätte (was im Grunde ja der gesetzliche Auftrag des Staatsfernsehens ist und womit nicht zuletzt auch unsere Billag-Gebühren begründet werden), versuchte man – wohl der Schlagzeile wegen – krampfhaft, alle Gegner in dieselbe Liga wie Saseks christlicher Fundi-Sekte „Organische Christus-Generation“ einzureihen. Wer gegen den verchippten Pass sei, so wurde unterschwellig suggeriert, sei wie Sasek & Co. auch Anhänger der Grossfamilie, gegen Homosexuelle, fürchte den Genozid an religiösen Minderheiten, möchte die Einpflanzung eines Chips in seinen Körper verhindern und habe Angst, dass der Staat seine Bürger mit diesem Chip non-stopp (wie auch immer) überwachen kann.
NEIN!
Obwohl ich mich mit Saseks Sache keinen Millimeter weit anfreunden kann, bin auch ich gegen die Einführung des biometrischen Passes. Als wohl eines der wenigsten Ländern dieser Welt hat die Schweizer Bevölkerung im Mai 2009 die Möglichkeit, über die Erfassung biometrischer Merkmale all seiner Bürger durch den Staat abzustimmen. Aus meiner Sicht bringt diese Datensammel-Wut ausser Spesen rein gar nichts. Weder können durch den verwanzten Pass Terror-Attacken verhindert werden, noch gestaltet sich die Ein- und Ausreise in paranoide Länder einfacher. Im Gegenteil: Um den neuen Pass zu erhalten, muss ich wohl einen halben (oder je nach Wohnort gleich einen ganzen) Arbeitstag freinehmen, um mich Abzulichten und Fingerabdrücke anfertigen zu lassen. Für den ganzen Gspass zahle ich dann noch deutlich mehr als es für die alten Pässe der Fall war. Abgesehen von solchen ökonomischen und praktischen Problemen geht es mir aber auch ums Prinzip: Jeder Schweizer soll selber entscheiden dürfen, ob er sich den Biometrie-Pass antun will/muss (ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich nicht wenige Geschäftsleute für den High-Tech-Pass entscheiden werden, um rascher durch die Zollkontrollen zu kommen) oder weiter mit seinem alten, immerhin „maschinenlesbaren“ Pass in der Weltgeschichte rumgurken will. Und ja, lieber Staat – dann nehme ich halt auch in Kauf, dass ich statt in 5 Minuten halt in 20 Minuten durch den Zoll komme und vorher im Heimatland noch ein Visum beantragen muss. Sollen diese Biometrie-Pass-Fundis nur eine anständige Visums-Bürokratie in ihren Botschaften aufbauen …
Die NZZ weist in ihrem Leitartikel (Zufall, dass er ausgerechnet am Tag nach der journalistischen Betriebsunfall im Leutschenbach erscheint?) noch auf einen weiteren Punkt hin:
Stein des Anstosses ist der Umstand, dass die biometrischen Daten auf einer zentralen Datenbank beim Bundesamt für Polizei gespeichert werden sollen. Der Schengen-Acquis fordert derlei nicht. Also ist nicht einzusehen, warum jeder Passbesitzer seine persönlichen Daten dem Staat übergeben soll. Die Begründung des Bundesrates, die zentrale Speicherung erschwere die missbräuchliche Verwendung von Pässen, genügt nicht, um die informationelle Selbstbestimmung derart einzuschränken. Umfassende Datenbanken wecken nach aller Erfahrung Begehrlichkeiten. Auch wenn die Regierung einstweilen versichert, dass die Daten nicht für Fahndungszwecke verwendet werden sollen, ist dies in Zukunft nicht auszuschliessen.
Die Attacke der Rundschau auf die Gegner ist ein Nebenkriegsschauplatz und hat mit seriösem Journalismus kaum mehr etwas gemein. Pfui SF! Nehmt euch ein Beispiel an derjenigen Postille, die mitten im Wettkampf um den besten boulevardschen Ausrutscher und im Kampf gegen Gratiszeitungen noch ein klein wenig Journalismus und eigenes Denkvermögen an den Tag legt.
Nachtrag: Man sollte zudem auch skeptisch sein, ob dieser Pass tatsächlich nie von unerlaubten Dritten ausgelesen werden kann. Das Schweizer Fernsehen rettet die verloren gegangene Ehre mit folgendem Beitrag in einer der wenigen Sendungen, für die sich das Gebührenzahlen noch lohnt:
Als ich und meine Freundin heute aus Strasbourg nach Basel zurückkehrten, kontrollierten doch tatsächlich zwei Uniformierte Schweizer die Identität der Einreisenden. Gemäss meiner Freundin, die unter der Woche täglich im Auto die Grenze Richtung Lörrach überquert, haben die Kontrollen in den letzten Tagen schlagartig zugenommen (zwei Mal Richtung Schweiz, zwei Mal Richtung Deutschland).
Übrigens: Als der Sicherheitsbeamte mich nach dem Blick auf meine ID fragte, ob ich „etwas dabei hätte“, konnte ich nicht anders, als ihm zu antworten: „Ja, mein Rucksack hier!“ und gleichzeitig darauf zu zeigen. Daraufhin präzisierte er leicht genervt die Frage: „Haben SIe in Frankreich ewas gekauft?“, worauf ich mit „Nein“ antwortete. Wie sich später herausstellen sollte, war dies nicht korrekt – ich hatte gelogen: Gestern Samstag-Abend führte ich nämlich für Melanie satte 500 Gramm Bredle in die Schweiz ein … Somit also im Grunde gleich zwei Vergehen auf’s Mal: Unwahre Angaben gegenüber dem Zollbeamten sowie die Einfuhr von Waren im Auftrag einer anderen Person.
Mario Aeby, geboren am 25. September 1980 in Bern, Schweiz
Ein Weblog über IT (Linux, OSS, Apple), Heim-Automation; mein mittlerweile abgeschlossenes Geschichtsstudium; Erkenntnisse aus meiner aktuellen Tätigkeit in der Informationssicherheit, meine Erfahrungen als IT-Berater, IT-Auditor, Web-Developer und IT-Supporter; die Schweiz, den Kanton Bern, meine ursprüngliche und auch wieder aktuelle Wohngemeinde Neuenegg, meine vorherige Wohngemeinde Bern, über lokale, regionale und globale Politik; meine Reisetätigkeit und Erfahrungen mit anderen Kulturen; und zu Guter letzt auch das Älter werden.
Alle in diesem Blog gemachten Aussagen und Meinungen sind persönlich und nicht als Ansichten meines aktuellen und/oder meiner bisherigen Arbeitgeber zu verstehen.