Samstag, 11. August 2007
Gestern startete ich das Wochenende zusammen mit Chlodwig in dem von mir heissgeliebten Restaurationsbetrieb hier in Neuenegg: Dem Sternen. Vor Ort stiess ich einerseits auf Angehörige des weiblichen Geschlechts, die mit Mineralwasser ihren Frauenabend zelebrierten und die Lokalität leider viel zu früh verliessen; als auch auf meinen Bruder und einen seiner Kollegen, die uns bezüglich der konsumierten Alkoholmenge bereits einiges im Voraus waren.
Das restliche Publikum war gemischt – einerseits diejenige Fraktion an älteren Leuten nichtgenannten Geschlechts, die sich vor den in den eigenen vier Wänden wütenden Naturgewalten zu einem Bier und ihren Leidensgenossen gesellten, einige Ü30-Päärlis (die Damen mit rot getönten Haaren und keltischen Accessoires) und (im gestrigen Fall) eine Horder Jugendlicher, denen man die Minderjährigkeit förmlich ansah.
Dealer
Da das Lenz & Stähelin-Fäbi bereits das weite gesucht hat, müssen wir Laien der Juristerei auf Anfrage einer Bedienung untereinander ausdiskutieren, ob man einem 16-jährigen zwei Bier verkaufen darf, obwohl man sich fast sicher ist, dass dieser das zweite Bier an seinen minderjährigen Kollegen weiterverhökert.
Während die anderen von einem Verbot oder einer Grauzone sprachen, legte ich das Gesetz strikt aus und sah einzig diejenige Person in der Pflicht, die dem minderjährigen den Alkohol direkt weitergibt. Im Laufe des Abends kamen mir dann aber doch Zweifel an meiner Auslegung: Könnte nicht eine Art „Mitgehilfenschaft“ des Bar-Betreibers vorliegen? Ich bin mir sicher, dass mein Stab an Juristen diese Frage in Bälde klären kann.
Musikantenstadl
Der DJ rekrutierte sich aus der letztgenannten Gruppe. Der Mann an den Plattentellern berieselte uns den ganzen Abend lang erstens in einer ohrenbetäubenden Lautstärke (O-Ton Mario: „Giele, das hie isch es Restaurant, da möchtme mitenang rede – weme wott tanze geit me is Outside!“), zweitens mit Musik, die in Abu Ghraib wohl zum Foltern der Gefangenen benutzt wird. Da der Disc Jockey seinem Namen überhaupt keine Ehre machte und auf eine gigantische MP3-Sammlung zurückgriff, konnte mein Stossgebet von dem Lenker im All nicht erhört werden: „Zum Glück isch die CD gli ferti“ – denkste!
Der DJ reagierte auf unsere Bitten, den Musikstil doch auf ein ertragbares Niveau zu heben, mit den Worten: „D’Neuenegger Dorfjugend wott das so!“. Henusode …
Wie mein Bruder treffend sagte: Würden diese pubertierenden Kinder gegen ihren Willen in ein Lokal gesperrt und mit dieser Musik zugedröhnt, würden sie innert Minuten reisaus nehmen. Wenn Sie die Musik aber selber wählen dürfen, spielen sie lustigerweise genau den Sound, den sie eigentlich verabscheuen.
Feuchtfröhliches Ambiente
Fast Forward: Vier Bier später ist die Szenerie immer noch ähnlich, der Alkohol sorgt aber bei allen Beteiligten zu gewissen Verhaltensänderungen. Da zieht eine Polonaise an uns vorbei, von der die Alterssumme der Beteiligten knapp 16 Jahre erreicht. Da flirten die älteren Semester mit den jüngeren (ob erfolgreich, sei dahingestellt), da tanzt, so scheint es, die Bedienung schon selbst fast auf den Tresen. Und wir mittendrin.
Ordnungspolitik
Und da öffnet sich die Türe des Lokals … aus der Dunkelheit der Nacht (nur ein effekthascherischer Schneesturm fehlt) betritt eine Gestalt den Ort des Geschehens. Die Anwesenden drehen sich zur Türe um und einige unter uns erstarren: Der Syndic!
Nun geht es Schlag auf Schlag: Zuerst muss der DJ (gelobet sei der Herr!) die Musik leiser drehen, dann die Fenster geschlossen werden. Die beiden für den Betrieb verantwortlichen Damen werden vor das Lokal zitiert und gemassregelt. Als sie zurückkehren sind sie leicht deprimiert, was für uns positive ökonomische Konsequenzen haben wird.
Hintergründe
Wie uns eine der Angestellten im Nachgang erzählt, stecke sie in einem Dilemma: Die Chefs des Lokals würden wütend, wenn die Musik zu leise sei – die Anwohner werden wütend, wenn das Gedudel zu laut sei.
Wird die Polizei wegen der Ruhestörung alarmiert, kommt in unserer Gemeinde aber nicht etwa die Polizei – sondern der Syndic. Meines Wissens müsste die Gemeinde jährlich einen Beitrag in sechsstelliger Höhe an die Kantonspolizei Bern abdrücken, damit diese höchstpersönlich aufkreuzt. Deshalb sollte man sich in Neuenegg nicht etwa vor Streifenwagen der Rennleitung, sondern von Angehörigen des Gemeinderats in Acht nehmen, die zu nächtlicher Stunde für Ruhe und Ordnung sorgen (müssen). Das Einsatzgebiet ist das ganze Gemeindegebiet, die Fälle reichen von Räsenmähen am Mittag bis zu häuslicher Gewalt.
Ich persönlich würde das „Polizei-Abo“ lösen, wenn auch widerwillig, um eine ruhige Nacht zu haben.