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Montag, 2. November 2020

Ist nicht Corona, sondern unser „endoptimiertes“ Gesundheitssystem das Problem?

Trigger-Warnung: Indem ich hier auf den Artikel verlinke und das YouTube-Video einbette, bedeutet das nicht, dass ich die Autoren in all ihrer Sachen unterstütze, noch dass ich deren Aussagen blindlings als richtig erachte. Mir erscheint es auf den ersten Blick, als sei eine wissenschaftliche Quellenkritik in beiden Fällen zwingend nötig. Die Aussagen eignen sich aber durchaus als nette Hypothese, die man im Hinterkopf behalten sollte.

Vor ein paar Tagen schrieb ich hier, dass wir (offenbar, und leider) ein Marshallplan für unser Gesundheitssystem benötigen. Es erscheint mir derart knapp dimensioniert, dass es mit ausserordentlich, zusätzlich Erkrankten im tiefen vierstelligen Bereich nicht zu Recht kommt. Das einerseits bei einer Bevölkerung von über 8.5 Millionen Schweizern (sprich: die zusätzlich Erkrankten machen 0.05 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, wenn ich richtig rechne — oder bei 37’000 vollbelegten Betten würden 3’000 weitere Patienten hinzukommen, das wären +8 Prozent über Maximalkapazität), andererseits in dem Land mit dem zweitteuersten Gesundheitssystem der Welt OECD-Nationen (Platz 1: Die USA, die in Sachen erfolgreicher Behandlung von Covid-19 ja auch nicht wirklich einen Podestplatz einnehmen).

Das Problem zeigt sich überall in westlichen Ländern. Und nicht erst seit Corona, sondern bereits früher in besonders schlimmen Grippejahren. Es scheint mir also, dass wir Westler es hier mit einem strukturellen Problem zu tun haben.

Ich bin offenbar nicht der einzige, der ab diesen Tatsachen stutzig wird:

Seit 20 Jahren haben unsere Behörden, allen voran das BAG und die Kantone, die Infrastruktur unseres einst starken, autarken Gesundheitssystems kaputt gemacht. […]

Medizinische Versorgung aller Bevölkerungsschichten und möglichst effiziente Heilung und Bekämpfung von Volkskrankheiten sind nicht mehr oberstes Ziel und erster Auftrag, sondern Priorität geniessen Umsatz- und Gewinn-Steigerung für alle Player, jedes Jahr. Disease Management statt Heilung, Patient Retention statt endgültige Entlassung – seit 20 Jahren das Healthcare Business-Modell in Europa. Es werden keine Mittel mehr eingesetzt (und entwickelt) zur Heilung der Ursache, sondern nur noch zum Managen der Symptome. Es wird kein Diabetes mehr geheilt, keine Hypertonie, auch kein Krebs. Die Krankheit wird „gesteuert“, „auf Sparflamme“, über noch möglichst viele Jahre, für den „permanent-ambulanten Patienten“, mit horrenden Medikations-Kosten. Alles noch über-reguliert, über-administriert, über-teuert durch die Verordnungen des BAG. So steigen die Kosten ungebremst, die Qualität der Pflege sinkt, die Mitarbeiter sind überlastet und frustriert.

Quelle: Versagende Behörden, lähmende Verbote, tödliche Unterlassungen – Inside Paradeplatz

(Der gesamte Artikel erscheint äusserst krude, aber diese Aussagen sind mir ins Auge gestochen, da sie zum Selbständig-Denken anregen)

Und dann noch dieses Interview, mit einem Beinahe-Ausraster, respektive einem Sich-in-Rage-Reden, fast wie Köppel in den letzten Tagen:

Vom Interview ist mir der Begriff „endoptimiertes Gesundheitssystem“ geblieben; eine kurze Google-Suche hat ergeben, dass das kein Fachbegriff zu sein scheint.

Beobachten wir die Situation weiter; die nächsten zwei Wochen liefern vermutlich bereits die Antworten auf diese Hypothese, welche wir so nicht hören wollen.

PS: Vor Jahren habe ich mir die DVD The Power of Community: How Cuba Survived Peak Oil gekauft. Der Film zeigt unter anderem auf, wie das mausarme, kommunistische Land Kuba (!) bestens ausgebildete Mediziner besitzt, welche in Notfällen nach ganz Lateinamerika entsendet werden. Wenig Geld und ein effizientes Gesundheitssystem scheinen sich also nicht von vornherein auszuschliessen.

Nachtrag 1

Ein paar Tage, nachdem ich diesen Blog-Artikel veröffentlicht hatte, nahm sich Sandro Benini genau diesem Thema an:

Während erster Corona-Welle: Tessiner wollten Spitalpersonal aus Kuba einfliegen

Ärzte von der kommunistischen Karibikinsel in Schweizer Spitälern? Die Idee von Kuba-Freunden stiess bei der Kantonsregierung auf Wohlwollen. Kritiker bezeichnen das Vorhaben als Propaganda.

Quelle: Tessiner wollten Spitalpersonal aus Kuba einfliegen

Spannend, das war mir so nicht bewusst. Was für ein Zufall!

Nachtrag 2

„Überlastete Spitäler“ scheint es nicht erst seit 2020 zu geben (von Spanien, Frankreich und den USA wussten wir das bereits seit längerem — so etwas auch von Deutschland zu hören ist mir jedoch neu) … Am Besten lässt man seinen Partner erstmalig nur die Audiospur hören, ohne dass man ihnen das Videobild (und somit: die Jahrzahlen) zeigt:

Nachtrag 3

Gerald äusserst sich noch einmal zum Thema „endoptimiertes“ Gesundheitssystem; dieses Mal unter dem Eindruck des erneuten Lockdowns (ausgerufen am Samstag, 14. November 2020).

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Labels: Gesundheit, Schweiz

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Donnerstag, 12. März 2020

Berechnungen zu amerikanischen und schweizerischen Spitalbetten unter Corona

Merke: Glaube keiner Statistik, die man nicht selber gefälscht hat. Bei untenstehenden Aussagen ist Quellenkritik zwingend nötig. Aber ich vermute, dass die meisten Gesundheitsbehörden den einen oder anderen Statistiker und Epidemologen auf der Gehaltsliste haben und deshalb langsam aber sicher drastische Massnahmen ins Auge fassen.

“We’re looking at about 1M US cases by the end of April, 2M by ~May 5, 4M by ~May 11,”

“By this estimate, by about May 8th, all open hospital beds in the US will be filled.”

Quelle: @LizSpecht: I think most people aren’t aware of the risk of systemic healthcare failure due to #COVID19 because they simply haven’t run the numbers yet. Let’s talk math.

Liz Specht ist gemäss LinkedIn Associate Director of Science & Technology at The Good Food Institute. Sie ist auf der Web-Site als Mitarbeiterin aufgeführt.

Das Institut hat folgende Mission:

GFI has a team of scientists, entrepreneurs, lawyers, and lobbyists, all of whom are laser focused on using markets and food technology to transform our food system away from factory farmed animal products and toward clean meat and plant-based alternatives.

Als Ergänzung empfiehlt sich dieses Video eines Mathematikers über exponentielles Wachstum, hier im Kontext von Corona:

Und in der Schweiz?

Gemäss dem Bundesamt für Statistik gibt es in der Schweiz 37’956 Spitalbetten. Dies beinhaltet aber auch „Psychiatrische Kliniken“, „Spezialkliniken der Rehabilitation/Geriatrie“ sowie „Andere Spezialkliniken“.

Wenn Liz Specht richtig schätzt, dass im Alltag 66 Prozent der Betten von „normalen Patienten“ belegt sind, hätten wir in der Schweiz also maximal 33 Prozent oder 12’526 Betten für die schlimmen Corona-Fälle zur Verfügung. In China waren 5 Prozent der Fälle kritisch.

Unsere Spitäler hätten also ungefähr dann ein Problem, wenn wir zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig 12’526 kritische Fälle zählen würden. Wären das wie in China 5 Prozent der Infizierten, gäbe es im ganzen Land somit mindestens 250’520 Infizierte. Das wären 3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Experten gehen wiederum davon aus, dass mittelfristig 40 bis 70 Prozent der Einwohner vom Virus befallen werden.

Eine der wenigen Variable, die wir beeinflussen können, ist, ob alle auf’s Mal krank werden und wir die Betten innerhalb von wenigen Tagen füllen … oder aber ob wir das über Monate hinweg ausdehnen können.

Nachtrag — 2020-03-12

Das Thema findet sich nun auch auf 20 Minuten: Schüler berechnen, wie viele Spitalbetten fehlen. Kernaussage:

Behauptung: Die Spitalbetten reichen nicht aus

Gehe man davon aus, dass 20 Prozent dieser Fälle an einer schweren Infektion litten oder zu kritischen Fällen gehörten, würden zwischen einer halben und einer Million Menschen unser Gesundheitssystem benötigen, schreiben Keller und Gerber. Die Schweizer Spitäler könnten aber auch im besten Fall mit 38’000 freien Betten nicht 510’000 Coronavirus-Patienten auf einmal beherbergen. Die beiden Schülerinnen kommen zum Schluss: «Unser Gesundheitssystem wird früher oder später zusammenbrechen.» […]

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) gibt es zurzeit in der Schweiz 82 von der SGI zertifizierte und anerkannte Intensivstationen. Dort stehen derzeit zwischen 950 und 1000 Betten zur Verfügung. Davon verfügen 800 bis 850 Betten über Beatmungsgeräte. […]

Bei den Beatmungsplätzen könnte es durchaus zu einem Engpass kommen, sagt Infektiologe Cerny. «Der Bedarf ist sehr gross und wir wissen nicht, wie schnell sich die Epidemie hierzulande ausbreitet», erklärt er. In einigen Regionen in Norditalien konnten Patienten nicht mehr beatmet werden, weil es einen Materialengpass gab. «Vor diesem Szenario haben wir alle Angst», sagt Cerny.

Nachtrag — 2020-03-17

Die Lombardei (mit 10 Millionen Einwohnern, als eine Region bevölkerungstechnisch in der Grössenordnung der Schweiz; flächenmässig halb so gross) verfüge über 800 Intensivbetten (Quelle). Gemäss einem Artikel in der Financial Times besitzt Italien 12.5 Intensivbetten pro 100’000 Einwohner, d.h. Total, über das gesamte Land verteilt, 7560 Betten. Die Schweiz soll gemäss dieser Erhebung über etwas mehr als 10 Intensivbetten pro 100’000 Einwohner verfügen; sprich Total 870 solcher Betten (Quelle)

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Labels: Leben, USA

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