Samstag, 14. Mai 2005
Da hört man den lieben Herr Blocher immer wettern, dass es sich bei unserem Beamtenstadel hier in Bern um eine „geschützte Werkstatt“ handelt – eine Minderheitsmeinung und böse Polemik?
Guichet Virtuel
Nun, ich bin erfreut, das ich diese Aussage aus der täglichen Erfahrung wiederlegen kann. Da haben wir beispielsweise den Guichet Virtuel (newspeak heisst das Angebot nun schlicht und einfach „Ch.ch“), den zwar niemanden kennt, aber uns Steuerzahler 18 Millionen gekostet hat.
Wofür sind hier eigentlich 18 Millionen draufgegangen? Per Zufall weiss ich, dass die schweizerische Filmförderung deren 30 Millionen zur Verfügung hat. Für die Hälfte dieses Betrags realisiert man eine einzige Internet-Site? Wow.
Irgendwann will ich auch externer Dienstleister bei diesen Jungs werden. Doch halt, Frau Muralt wird einwenden: Selbstverständlich ist es nicht „nur“ eine Internetseite! Nein nein, das Ding ist auch dynamisch und benutzt Datenbanken im Hintergrund. Das kann heutzutage noch fast niemand programmieren … Deshalb liefert Oracle die Datenbank und Swisscom übernimmt das Hosting (Quelle: Prüfung der Finanzkontrolle).
17 Millionen sind wohl für die Erfindung der „URN“ draufgegangen, mit der sich Informationen mit einem eindeutigen Bezeichner referenzieren lassen. urn:ch:de:ch:ch.01:01 steht so für die Rubrik Privatleben. Eigentlich wollte ich hier auch noch die URN angeben, mit der ich auf die Web-Seite unserer Gemeinde verwiesen werde, auf der man Informationen zum Pass erhält. Tjach, ich war wohl zu blöd, den Link zu finden.
In Zukunft werde ich also wieder Neuenegg.ch anwählen und mittels drei Klicks zur Information gelangen (auf Ch.ch habe ich etwa zehn Mal geklickt und war immer noch nicht schlauer).
Zurück zum Geld: Vielleicht musste man auch noch die paar Mittagessen mit den Swisscom-Consultants blechen.
Oder schauen wir uns die Wahl der Oracle-Datenbank an: Naja, all das Open-Source-Zeugs war wohl weniger performant genug, ne? Es geht doch nichts über den Rolls-Royce unter den Datenbanken. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Abgesehen davon geraten mittlerweile auch die Verantwortlichen in Erklärungsnotstand und verlassen das sinkende Schiff.
Teil-Fazit
Der Guichet Virtuel ist etwas anachronistisches – kurz vor dem Ende des Dot-Com-Booms, als ich selber noch als „Profiteur“ (naja, im verträglichen Masse) in der Branche unterwegs war, hatte es wohl einigen Beamten gedämmert, dass auch von Seiten des Bundes etwas aus dem Ärmel geschüttelt werden sollte. Aber was? Ein Portal, war ja klar, denn zu der Zeit sprachen alle von Portalen. Was sich dahinter verbarg wusste niemand so genau, doch wer weiss das schon bei anderen Begriffen wie Micro-Site, Pop-Up, Pop-Under usw. usf.
Doch wie beschreibt man den Zweck des Guichet Virtuels nun? Um für alle verständlich zu bleiben: Es handelt sich hier um eine frisierte und getunte Linkliste. Links zeigen auf die Angebote der Kantons- und Gemeindebehörden.
Leider kennt das Angebot fast niemand, weil der Weg ja auch wenig sinnvoll wäre: Wieso soll ich über die Bundeshauptstadt einen Umweg machen gehen, wenn ich mich für die Passbestellung in einem Kaff irgendwo in der Ostschweiz interessiere? Selbst der unerfahrenste Web-Nutzer wird als erste gleich www.kaff.ch eingeben, und fertig ist die Suche. Aber unsere IT-Beamten denken in anderen Dimensionen, das sollte uns mittlerweile klar sein!
Stellenanzeiger
Nein, leider ist meine Kritik noch nicht zu Ende.
Wer seit Jahresbeginn den Online-Stellenanzeiger des Bundes besuchen will, muss aufpassen, mit welchem Browser er das tut. In kleiner Schrift liest man auf der Eingangsseite nämlich
Für unseren Webauftritt benötigen Sie einen der folgenden Browser: Microsoft Internet Explorer 5.5 SP2 oder höher, Netscape 7.0, Opera7
Schön. Und ich, der mit Safari und unregelmässig höchstens noch mit Firefox unterwegs ist? Nada, für den Bund komme ich so gar nicht erst als Kandidaten für einen Posten in Frage. Dabei könnte doch in nächster Zeit der Posten des Chefs IT Stellenanzeiger freiwerden …
Auf meine Anfrage vom 26. Januar 2005 erhielt ich von Frau Regula Fiechter folgenden Bescheid:
Sehr geehrte Besucherin, Sehr geehrter Besucher
Besten Dank für Ihre Meldung. Seit 5. Januar 2005 ist der neue Stellenanzeiger des Bundes im Internet in Betrieb (www.stelle.admin.ch).
Gegenwärtig ist die Stellensuche (Rubrik „Stellenangebote“) mit einzelnen Browser-Typen (Mozilla/Firefox/Mac) nicht oder nur eingeschränkt möglich. Keine Schwierigkeiten bestehen mit den auf der Einstiegsseite erwähnten Browsern (z.B. Microsoft Internet Explorer 6.0).
Die Lieferfirma der Software arbeitet daran, das Problem zu beheben. Auf dem Stellenportal finden Sie unter der Rubrik „Stellenanzeiger“ ein PDF-Dokument, so dass Sie die aktuellen Stellenausschreibungen des Bundes herunterladen und ausdrucken können.
Wir bitten Sie, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.
Mit freundlichen Grüssen
Der standardisierten Antwort können wir entnehmen, dass diese Problem wohl schon mehrmals bemängelt worden ist. Immerhin wusste man jetzt also Bescheid. Das ist doch schon mal ein Anfang.
Okey, im Bundesbern geht ja alles nicht so schnell zu und her – schliesslich muss man ja genügend Mittagessen mit den Consultants abhalten und vielleicht sogar eine Vernehmlassung durchgeführt werden.
Am 27. April 2005 habe ich mich dann doch zu einer erneuten Anfrage durchgerungen. Wer weiss, vielleicht kriegt man den Amtsschimmel ja nur so auf Trab? Ich kriegte umgehend eine Antwort von Christian Hofer:
Sehr geehrter Herr Aebi
Besten Dank für Ihre Rückmeldung. Für die angekündigte Erweiterung der Browser-Kompatibilität sind wir auf ein Update unserer Lieferfirma angewiesen. Dieses wird in den kommenden Wochen bei uns eintreffen. Wir gehen davon aus, dass die erweiterte Kompatibiliät im Verlauf der nächsten Wochen sichergestellt sein wird.
In der Zwischenzeit können offene Stellen browserunabhängig via der Rubrik „Stellenanzeiger“ eingesehen werden.
Mit freundlichen Grüssen
Christian Hofer
(Ich heisse Aeby, aber das ist Nebensache – wichtiger ist ja jetzt, den Safari und Firefox kompatibel zu machen).
Was auch hier anscheinend wieder gezählt hat: Hauptsache SAP. Das kostet viel schönes Geld, und schliesslich hat man am BIT ja auch dermassen viele Consultants, die ihre E-Klasse-Gefährte finanzieren möchten (Stundenlohn: 180 SFr.). Wasserkopf. Könnte Herr Merz da nicht mal etwas unternehmen?