Freitag, 26. September 2008
Letzten Mittwoch (24. September 2008) durfte ich zum ersten die Wandelhalle des Bundeshauses betreten und auf der Zuschauertribüne einer Nationalratssitzung lauschen.
Nachfolgend einige Eindrücke vom Geschehen:
- Im Glasdach der Kuppel sucht man das Wappen des Kantons Jura vergeblich. Ist ja auch logisch – der Kanton wurde erst vor dreissig Jahren, 1978, gegründet. Ich kann mir Bildhaft vorstellen, wie die Wandmaler ins Schwitzen kamen, um einen geeigneten, dezenten Ort für die Position des zusätzlichen Wappens zu finden. Die Lösung ist ein gutschweizerischer Kompromiss (geht selber mal vorbei und sucht das Wappen an der Decke …)
- Allgemein erschien mir die Ausstattung der Wandelhalle etwas gar … heterogen. Hier die vier Soldaten aus allen Landesteilen, dort die drei Eidgenossen, die ihre Hände nicht etwa zum Schwur erheben, sondern auf den Bundesbrief legen. Dann wieder griechisch anmutende Reliefs und Statuen, umgeben von Glasscheiben, die Szenen aus dem späten 19. Jahrhundert wiedergeben. Soll alles wohl die Vielfältigkeit des Landes repräsentieren?
- Der Laden ist derzeit immer noch eine grosse Baustelle. Der Glanz fehlt dem Gebäude derzeit offensichtlich.
- Christoph Mörgeli (SVP, ZH), dem wir faktisch im Rücken sassen (ca. 10m Luftlinie), outete sich sich als eifriger Facebook-Chatter. Chapeau – ausgerechnet ein SVPler, der sich ohne Berührungsängst neuen Technologien stellt?!
- Anti-Offroader Bastien Girod (Grüne, ZH) teilt sein Pultli mit dem Kommunisten Zysadis. Girod trug ein schwarzes Hemd, keine Cravatte – und zeigte (wie viele der Anwesenden) kaum Interesse an den Reden.
- Auf den meisten Pultlis standen Laptops. In 99,9% der Fälle schien es sich um IBM Thinkpads zu handeln (12″ oder 14″? Ich vermute letzteres). Unter den wenigen Abweichlern kann ich mich am besten an Frau Nationalrätin Thorens (Grüne, VD) erinnern. Sie arbeitete – farblich zu ihrer Garderobe passend – mit einem MacBook Air. Gratulation! Hinter ihr gab es noch eine andere Nationalrätin mit einem älteren iBook.
- Vom Sicherheitsbeamten wurden wir darauf hingewiesen, auf der Zuschauertribüne keinen Lärm zu verursachen. Als wir Platz genommen hatten, liess uns die Bitte nur noch schmunzeln: Unten im Rat war ein solcher Lärm, dass wir schon mit einem Ghettoblaster in voller Lautstärke hätten auftreten müssen, um uns Gehör zu verschaffen.
- Pascale Bruderer – hübsch wie eh und je – sass im linken Ecken (von der Tribüne aus gesehen) und nutzte gar einmal die Möglichkeit, einem Redner eine Frage zu stellen (das ist also auch möglich – wusste ich nicht!)
- Selbstverständlich entdeckten wir auf dem Wandgemälde den Engel in den Wolken und den Fisch in der Felswand.
- Auf der Tribüne sitzend kann man mit seiner Namenskenntnis schweizerischer Parlamentarier auftrumpfen.
Showdown im La Gioia
Als die Mittagspause nahte, verabschiedeten wir uns von den doch eher langweiligen Monologen über die Abfallgesetzgebung (Littering) und die Herabsetzung des Wahlrechts auf 16 Jahre (super Evi!) – und begaben uns zum Mittagsessen in das Restaurant La Gioia (jetzt kann ich den Namen richtig schreiben). Notiz am Rande: Vor dem Restaurant weht tatsächlich eine EU-Flagge!
Als wir uns an die für uns reservierten Tische im 1. Stock des Restaurants setzten, ging es wie ein Lauffeuer durch unsere Gruppe: Bundesrat Schmid sass unweit mit dem Rücken zu uns an einem Tisch. Gesellschaft leistete ihm ein eher jüngerer Mann – viele vermuteten in ihm den Bodyguard, aus meiner Sicht hätte es auch ein Beamter gewesen sein können. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Schmid am Morgen die für ihn so wichtige Abstimmung verloren hatte. Deshalb erstaunte es uns nicht gross, dass er eine Stange vor sich stehen hatte. Viele überlegten sich, zu ihm zu gehen, ihm auf die Schulter zu klopfen und Mut zuzusprechen.
Parteipräsident a.D.
Etwa 10-20 Minuten später erneute Aufruhr in der Gruppe: Ueli Maurer und Adrian „Richard Gere“ und „Voralpen-Blocher“ Amstutz kamen die Treppe hinaufgestiegen – und blieben für einige Sekunden irritiert, als sie den jetzigen BDP-Bundesrat erblickten. Einen kurzen Augenblick zögerten die beiden, entschieden sich dann doch, einen Tisch zu suchen. Wohl nicht zufällig wurde einer gewählt, der möglichst weit vom Widersacher entfernt war. Gegrüsst wurde der halbe Bundesrat nach SVP-Manier selbstverständlich nicht.
Wir Liberalen
Nachdem sich die Ruhe wieder gelegt hatte, erschien Georges Theiler (FDP) und ein Kollege auf der Bildfläche. Diese grüssten den Bundesrat freundlich – und setzten sich schlussendlich zu ihm, um gemeinsam mit ihm Mittag zu essen.
Parteipräsident i.D.
Wieder etwa 15 Minuten später die nächste Episode: Nun hatte Blochers Ziehsohn Toni Brunner seinen Auftritt – mit zwei Personen im Schlepptau. Das Spiel wiederholte sich – als er Schmid erblickte, hielt er inne. Im Gegensatz zum Duo Maurer/Amstutz war es ihm mit Kehrtum-Marsch ernster. Doch auch er brachte es dann irgendwie doch nicht übers Herz und entschied sich, im Restaurant zu bleiben. Da es auf unserer Seite keine freie Tische mehr gab, musste er aber im Gegensatz zu Maurer & Co. an Schmid vorüberziehen. Auch Nationalrat Brunner suchte sich ein Plätzchen möglichst weit vom Verteidigungsminister. Gegrüsst wurde der Erzfeind selbstverständlich auch nicht – wo käme man da hin? Immerhin die Frau in Brunners Begleitung grüsste den Bundesrat höflich.
Fazit: SVPler und BDPler scheinen auf die gutschweizerische italienische Küche des La Gioia abzufahren. Wie sich die Streithähne benehmen ist hingegen unter aller Sau.