Sonntag, 11. September 2005, 23:12 Uhr

Der Osten

Der Osten. Unendliche Weiten … dies sind die Abenteuer – ach egal. Zur Zeit aufgrund der nahenden Abstimmung an meinem Geburtstag hoch im Kurs, wegen der befürchteten Einwandrerschar, die unser Land und unsere Arbeitsplätze unsicher machen soll, glaubt man der rechten Propaganda. „Scheinselbständige“ wird nach den „Scheininvaliden“ zu einem neuen Modewort, schaden aber unserem Staat angeblich aber genauso wie die letztgenannten.

Maschi

Osten bedeutet auch Tschechien. Und von dort kommt Kollege Sedlacek (sorry, keine Homepage – sedlacek.ch wäre übrigens noch frei!), den wir heute mit einem mehr oder wenigen rauschenden Fest verabschiedet haben. Er verlässt uns nämlich für einige Monate gen Madrid, und dies musste gebührend gefeiert werden. Die Party stieg bei Kollege Zgraggen, zu Essen gab’s vom Jubilaren selbst gefertigte Sushis. Wer lieber auf „gekochtes steht“ (Zitat Kollege Wittwer), konnte sich auch am (Tisch-)Grill vergnügen oder schöpfte mit grosser Kelle vom Kartoffelsalat (made by Kollege Zgraggen – mein Zimmer kann zur Zeit nur mit Gasmaske betreten werden, wohl aufgrund der reichlichen Beigabe von Zwiebeln und Knoblauch). Nun gut, wünschen wir ihm also auch hier noch ein beschauliches, abwechslungsreiches Jahr im fernen Madrid. Dass du uns wieder ganz zurück kommst! Ein Ausflug des Expeditionary Corps ist auf jeden Fall schon fast gebucht. Nur über das Datum muss man sich noch einigen. Und dann: Chacare

138km: Bern – Zürich

Der Osten war aber auch Thema auf meiner samstäglichen Fahrt an die Abschiedsparty von Kollege Röthlisberger in Zürich. Der Peugeot war dann nämlich auch Taxi für eine alte Gymer-Kollegin und einen alten Gymer-Kollegen. Sie halbe Slowenin (Scheinslowenin? *hihi*), er ganzer Rumän. Und alle drei zeigen, dass der Osten nicht nur billige Handwerker, sondern auch Hochschul-kompatible Hirnis hervorbringt; das Schweizer Schulsystem also auch gegenüber „Fremden“ durchlässig ist.

Spannend wurde es, als die beiden Mitfahrenden sich über ihre Heimat zu unterhalten begannen und mir doch einige Eigenheiten näherbrachten, die mich staunen liessen. Denn der (europäische) Osten ist hierzulande ja nicht gerade als Tummelfeld für besonders fortschrittliche Staaten berühmt. Doch ich musste mich eines anderen belehren lassen:

My home is my castle

Ein eigenes „Haus“ zu besitzen scheint dort nicht erst seit gestern hoch im Trend zu liegen. Erklärtes Ziel ist es, Wohnungen nicht zu mieten, sondern zu besitzen. „Haus“ ist insofern irreführend, als dass man sich normalerweise eine Blockwohnung kauft und nicht irgendwo ein Häuschen hinpflanzt. Laut Aussage der beiden hat der Grossteil der Bevölkerung ein Haus – in der Mieternation Schweiz unvorstellbar, auch wenn sich die Mentalität auch hierzulande langsam ändert. Hypotheken kennt man in Richtung Sonnenuntergang weniger – wenn man sich ein Häuschen kauft, dann wird bar auf die Hand bezahlt. Das „Haus“ ist nicht nur eine Investition in die Gegenwart, sondern auch in die Zukunft: Ziel ist es nicht zuletzt, den Nachfahren eine Bleibe zu hinterlassen und so den „Reichtum“ in der Familie zu behalten. Damit es Familie gibt, braucht es auch Kinder, womit wir schon bei der nächsten Erkenntnis sind:

Nachwuchs

Erst kürzlich haben wir, das Schweizer Stimmvolk, uns endlich, nach Jahrzehnten von Kuhhandeln, dazu durchringen können, den Mutterschaftsurlaub im Gesetz zu verankern. Seit dem 1. Juli des laufenden Jahres ist die Mutterschaftsversicherung in Kraft getreten. Etwas peinlich kommt dieser Umstand einem dann schon vor, wenn man hört, wie grosszügig solche Regelungen in Slowenien wie auch in Rumänien seit Jahren bekannt sind. Mutterschaftsurlaub in Slowenien: Ein volles Jahr – richtiggehend lächerlich sind da unsere 14 Wochen, denen wir der frischgewordenen Mutter gönnen. Zusätzlich ist es sogar möglich, dass der Vater die Hälfte der Zeit diesen „Urlaub“ in Anspruch nehmen kann und sich so sechs Monate lang um seinen Zögling kümmern kann. Nachtrag: Gemäss der informativen Web-Site (URL siehe im Fazit) ist es so, dass man in Slowenien 6 Wochen vor der Niederkunft frei kriegt und danach sogar bis zu drei Jahren nicht mehr arbeiten gehen muss (?). Ob so lange jemand bezahlt, ist eine andere Frage.

In Rumänien kriegen Mütter mit einer Risikoschwangerschaft weitere zusätzliche Entlastung. Und wenn das Kind denn erst einmal geboren ist, fliesst das Geld erst so richtig: 20 SFr. gibt es pro Monat und Kind.

Einig waren sich die beiden „Ostler“, dass diese Nachwuchsförderung stark von der Sowjetunion beeinflusst war. Doch hier wird wohl kaum jemand eine pöse Absicht vermuten. Manchmal hatten die alten Kommies eben doch ein Löffel Weisheit gefressen.

Netto-Lohn

Das Highlight aber hatte sich Kollege Petrascu für den Schluss aufgehoben: Eine Idee, die mir seit längerem vorschwebt, ist in Rumänien längstens Gang und Gäbe. Den Netto-Lohn, den man Ende Monat auf das Konto überwiesen bekommt, gehört einem. Voll und ganz. Kann in Spielcasinos verjubelt, in Puff-Häusern verb*** oder auch einfach in sinnvolleres wie Ernährung und Kleidung investiert werden. Da die meisten Arbeitnehmer wie gesagt keine Miete zahlen müssen, da ihnen die eigenen vier Wände gehören, darf man auch diesen Posten getrost vom Monatsbudget streichen. Das Non-Plus-Ultra allerdings ist der vorgängige Abzug von Steuern und Versicherungen vom Lohn. Auch darum muss man sich keine Sorgen machen, der Arbeitgeber schaut, dass das Geld an die richtige Stelle gelangt. – Ende Jahr wird man also nicht mit einer doppelt so hohen Steuerrechnung überrascht wie hierzulande dann und wann üblich (auch mich hat’s schon so verseckelt – zugegegebenermassen bin ich nicht unbedingt der Inbegriff des vorbildlichen Sparers).

In der Schweiz ist so etwas schlicht unmöglich. Zu gross das Misstrauen dem Arbeitnehmer gegenüber, dass dieser mit dem Geld irgendwas anstellt, aber nur nicht das, was er eigentlich von Gesetzes wegen sollte. Und noch schlimmer – der jährliche Versuch, die Steuern zu „optimieren“, bliebe dann aus. Wobei ich mich frage, ob wir Jungen mit unseren Milliardenvermögen wirklich etwas rausholen können. Doch der Glaube erwacht bei jeder Steuererklärung neu …

Fazit

Für mich stellt sich hier doch schon die Frage, welcher Ostblockler sich die Schweiz nach dem 25. September wirklich dauerhaft antun und danach von den Sozialwerken „schmarotzen“ will – irgendwie haben die’s dort drüben ja gar nicht so schlecht. Wer weiss, vielleicht könnte man von den lange Zeit abgeschirmten Mitbewohnern unseres Kontinents gar etwas lernen?

Wer es genauer (und juristischer) will, schaut sich auf der Web-Site mit dem Thema „Soziale Sicherheit in der EU“ um.

Hinweis: Rumänien ist (noch) nicht in der EU und also von der Personenfreizügigkeit vorerst ausgeschlossen.

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