Samstag, 30. Juni 2007, 12:22 Uhr

War FACTS zu links?

Das könnte man meinen, wenn man die letzte, „goldene“ FACTS durchliest (was – ausser dem Titelblatt – daran golden sein soll, entzieht sich hingegen meiner Kenntnis):

Jahrelang war es einfach, eine Zeitschrift zu machen: Man musste gegen das Establishement schreiben, tatsächlich oder vermeintliche Intrigen aufdecken und die linke Klassenkampf-Argumentation pflegen. Das Resultat war guter linker Journalismus. Unterdessen hat sich das Blatt gewendet. Bewahrende und blockierende linke Politik ist an vielen Missständen schuld – die Leserschaft weiss das. Viele Journalisten haben aber Hemmungen, gegen jene zu schreiben, die sie so lange verteidigt haben. Keiner diese Journalisten hat gegen die geplanten Gaskraftwerke von SP-Bundesrat Moritz Leuenberger geschrieben. Nur zögerlich werden Fehlanreize des Umverteilungsstaates thematisiert.

Damit haben die Redaktionen ihre Werthaltungen verloren. Was sie produzieren, wird in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten mehr und mehr wertlos, was dazu führt, dass sie das Produkt gratis haben wollen.

Ruedi Noser, Zürcher Nationalrat und Vizepräsident der FDP Schweiz.

Quelle: FACTS, 26/2007, 28. Juni 2007, „Blockierende Linke Politiker sind an vielen Missständen schuld“, S. 60.

„Blockierende Linke Politiker sind an vielen Missständen schuld“ – aus Sicht eines zürcherischen Liberalen wohl sogar am Niedergang von FACTS …

Starker Tobak, den Noser da liefert. Doch irgendwie geht es in diesem Elaborat mehr um Parteipolitik als um FACTS. Ein Schelm, wer im Wahlkampfjahr böses denkt! Dabei sollten Politiker der bedrohten Gattung FDP aufatmen: gfs prognostiziert „nur“ einen Verlust von 0.3% für die „Wir Hop-Sviz Liberalen“, würden heute Parlamentswahlen stattfinden.

Einige Passagen:

  • „guter linker Journalismus“ Nicht links-liberaler, „linker“? Ob sich ein Blatt heutzutage wirklich leisten könnte, auf solcher Linie zu politisieren journalisieren?
  • „die linke Klassenkampf-Argumentation pflegen“ Beweise, WatsonNoser! Mir wäre nicht bewusst geworden, dass FACTS noch im Zeitalter der Parteipresse steckt. Haben Sie vielleicht insgeheim zur WOZ gegriffen?
  • „Bewahrende und blockierende linke Politik ist an vielen Missständen schuld – die Leserschaft weiss das.“ Herr Noser scheint mit der SVP-Wahlkampf-Propaganda gleichgeschaltet worden zu sein. Wahrscheinlich leidet er an dem in Zürich wütenden Virus namens „Linken-Bashing“.
  • „Keiner diese Journalisten hat gegen die geplanten Gaskraftwerke von SP-Bundesrat Moritz Leuenberger geschrieben.“ Wahrlich, eindeutiges Indiz, dass FACTS von linken Parteigänger durchsetzt ist …
  • „Was sie produzieren, wird in den Augen der Konsumentinnen und Konsumenten mehr und mehr wertlos, was dazu führt, dass sie das Produkt gratis haben wollen“ Eine der köstlichsten Schlussfolgerungen, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Ein Blatt wie FACTS bringt man nurmehr gratis unter die Leute … So wird es sein! Komisch nur, dass die Weltwoche bisher weniger Leser aufwies als FACTS – der Markt spielte doch? Wem FACTS zu „links“ war, konnte problemlos zur Konkurrenz wechseln …

Nebenbei: Wenn von Linken und ihren Schergen wirklich eine derartige Gefahr ausgeht, sollte Herr Noser all die „Wir unechten Liberalen“ wie Frau Markwalder & Co. schleunigst aus „seiner“ Partei ausschliessen.

Ein Leser (wiederum Zürcher) doppelt nach:

Es wundert mich nicht, dass euer Blatt eingeht. Schade um die Leute, die Arbeitsplätze. Blocher ist Spitze. Ihr seid einfach viel zu links. Einen Georg Kreis oder einen Bodenmann muss man in die Wüste schicken. Und natürlich sind unsere linksgerichtete Richter auch ein Ärgernis. Der Presse würde es guttun, sich mal Richtung Mitte zu verschieben. Wenn man den Leuten zuhört, interessiert es die wenigsten, was unsere linken Journalisten schreiben.

Werner Bruderer, Kloten

Quelle: FACTS, 26/2007, 28. Juni 2007, „Reaktionen zum Ende“, S. 8.

Wirklich?

Für viele wäre es tatsächlich verlockend, den „linken Journalismus“ FACTScher Manier für den Niedergang des Blattes verantwortlich zu machen. Doch was sagen ideologisch weniger Verblendete und nicht im Wahlkampf stehende Exponenten?

Am Kurs der Zeitung – wenn die Befriedigung vieler Geschmäcker überhaupt ein Kurs ist – konnte und durfte nichts verschoben werden. Die kleinen subventionierten Titel in einem grossen Haus dürfen nichts tun, was dem Gesamtineresse des Verlags zuwiderläuft. Keine Anzeigeunkunden nachhaltig verprellen und auch nicht zu scharfen Kurssetzern in einem Verlag werden.

Anders bei Wochenzeitungen, die in ihren kleineren Häusern das Flaggschiff sind. Wenn ihr Erschienen – und das war oft der Fall in den letzten Jahren – in Gefahr stand, dann wurde ungeniert nach einem neuen, starken Tabak gesucht.

Hanspeter Lebrument, Verleger Südostschweiz Mediengruppe

Das tönt nicht gerade nach linkem Parteiblatt, das nicht anders konnte, als den Genossen gefallen zu wollen.

Auch Roger Blum sieht die Sache etwas nüchterner:

FACTS war als recherchierendes und Thema setzendes Medium keineswegs allein – auch einige Tages-und Sonntagszeitungen, auch einzelne Fernseh- und Radiosendungen, auch „Cash“ und „Weltwoche“ mischten auf ihre Art mit.

Mit drei SonntagsZeitungen und zwei Donnerstags-Magazinen war der Markt hart umkämpft – während in der Chefetage von Tamedia einzig die Kosten zählten. Die Tamedia lässt so aber willentlich ihr Flaggschiff sinken – war das intelligent?

Wie dem auch sei: Für Noser & Co. besteht zu befürchten, dass nun viele der „linken Journis“ zur SonntagsZeitung und zum Magazin überlaufen – dort weiterhin die „pöhsen, pöhsen Linken“ mit Samthandschuhen anfassen.

Fazit

Wer hat Recht? Der polternde Leserbriefschreiber aus Kloten und der freisinnige Nationalratskandidat? Oder der Professor für Medienwissenschaften und der ostschweizerischen Verleger?

„Niedergang“

Ist „Niedergang“ sowieso nicht fehl am Platz? Notabene: 440’000 Leser hat das Wochenmagazin bis zum Schluss gehabt – im Vergleich zum Vorjahr konstant; während die Weltwoche 378’000 Leser zählte, minus 5% (Die Leserzahlen der Printmedien sowie Grafik).

Labels: Medien, Politik, Schweiz

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