Sonntag, 11. Juni 2023
In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni brach um 2:50 Uhr Ortszeit der Kachowka-Staudamm bei Cherson in der Ukraine. Der Staudamm riegelt den Kachowkaer Stausee ab.
Über die Zerstörung des Staudamms erfuhr ich in der Nacht zeitnah auf Twitter. Bevor ich Schlafen ging tweeteten verschiedenste pro-ukrainische und pro-russische Twitterer Meldungen, dass der Staudamm gebrochen sei und in Flussrichtung nun mit Überflutungen gerechnet werden musste. Für die pro-russischen Twitterer war es eine Aktion der Ukrainer, welche mit grösstmöglicher Vergeltung geahndet werden sollte — Atombomben auf Kiev, oder aber die Sprengung eines ähnlichen Damms in der Nähe von Kiev.
Als ich am Morgen danach aufwachte, war Twitter voll von Meldungen über den gebrochenen Staudamm, und der Narrativ völlig einseitig: Die Russen waren’s!
Ich kann nicht sagen, wer es war. Aber über die Tage und nach einigen Diskussionen erscheinen mir folgende vier Szenarien plausibel (ich habe aber keine Zeit investiert, die zugetragenen Informationen einem Faktencheck zu unterziehen):
- Russland hat den Damm, welcher unter seiner Kontrolle war, zerstört — entweder durch Sprengung, oder sonstige Aktionen, welche die strukturelle Integrität des Damms zerstören. Dies aus Angst vor einer angeblich kurz bevorstehenden Grossoffensive der Ukrainischen Armee, die den Fluss überqueren und die russische Armee am linken Dnepr-Ufer angreifen wollte, um nach einem Erfolg auf dem Schlachtfeld mittelfristig auf die Krim vorzustossen.
- Die Ukraine hat den Damm gesprengt. Durch die Überflutungen werden nicht nur mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnte Gebiete flussabwärts geflutet, sondern auch die in den letzten Monaten entstandenen vielschichtigen Befestigungslinien der Russischen Armee. Zusätzlich müsste die Sprengung des Damms auch massive Auswirkungen auf die Wasserversorgung der Krim haben.
- Es waren weder die Russen, noch die Ukrainer, sondern ein dritter Akteur, der ein Interesse an einem zerstörten Damm, gefluteten Böden, einer ausgetrockneten Krim und einer lahmgelegten Offensive der Ukrainer hat. Und dadurch wirtschaftliche und/oder geopolitische Vorteile erhält.
- Es war — ähnlich wie bei Tschernobyl — ein Betriebsunfall. Der Damm ist alt, marode und wurde weder von den Ukrainern, noch jetzt von den Russen korrekt unterhalten. Per Zufall* ist er wegen Materialschwäche jetzt gerade gebrochen (* wobei Satellitendaten zeigen, dass der Stausee kurz vor dem Bersten so hoch und stark gefüllt wurde, wie seit Jahren nicht mehr — verdächtig)
Mal Schauen, ob Seymour Hersh in einigen Monaten ein Investigativ-Artikel zum Thema rausbringt.
Hier noch zwei Twitter-Threads über die riesige Bedeutung des Stausees zur Wasserversorgung der Region, sowie der Krim: