Donnerstag, 14. Juni 2007
Klar, dass ein solcher Artikel in diesem Wahljahr kommen musste, und klar war es auch, dass FACTS diesen nicht uneigennützig veröffentlichte – solche Frontalangriffe steigern die Auflagezahl.
Nicht verwunderlich war auch, dass Blocher die Attacke nicht auf sich sitzen lassen konnte und Kläffer Mörgeli in der darauffolgenden Ausgabe seinen sorgfältig einstudierten Totentanz uraufführen liess.
„Das (Wort-)Duell der Geschichts–Professoren„, könnte man auch titeln. Ich versuche den etwas anderen „Celebrity Deathmatch“ zu analysieren (ein Geschichtler mehr in dieser Affäre kann ja kaum noch schaden) und nehme hierbei auch stark Bezug auf die Leserbriefe der Ausgabe 24/2007 von heute Donnerstag.
Ehre, wem Ehre gebührt
Betrachtet man den Stil, die Süffigkeit und die überzeugende Argumentation, sticht Mörgelis Artikel hervor. „Citoyen“ Kreis hat mich mit seinem Text enttäuscht – irgendwie „holperte“ es mir bei der Lektüre einfach zu stark. Mich verwundert es bis heute, dass ein aktiver Professor sich derart markant ins Rampenlicht stellt und einen Bundesrat auf’s Ärgste kritisiert. Wenn man sich als Angehöriger einer Hochschule in ein Magazin wie das FACTS wagt, sollte der Text doppelt oder gar dreifach „genietet“ sein. Hier sollte man nichts dem Zufall überlassen, ein exzellentes Schriftstück ist Pflicht.
Holprig, aber wahr
Immerhin, und da gebe ich dem Leserbriefschreiber Recht:
Der verbale Streit zwischen den Professoren Kreis und Mörgeli reduziert sich auf die Frage: Wer ist glaubwürdiger. Kreis zählt nachweisbare Fakten auf. […] Kern-Behauptungen von Mörgeli. Er macht die Linken verantwortlich für Sozialfaulenzerei, Bildungszerfall, Leistungsfeindlichkeit, Asylmissbrauch, anmassende Rechtsprechung […]
Walter Schärlig, Flims Waldhaus
Das „linke“ Jahrzehnt? It’s the math, stupid!
Verwundert hat diesbezüglich Mörgelis Aussage, dass die Neunziger als „sozialdemokratisches Jahrzehnt“ in die Geschichte eingingen.
Das ist nachweislich falsch, wie mehr als ein Leserschreiber treffend bemerkt haben. Betrachtet man das einfachste Mass zur Bestimmung einer solchen Aussage – nämlich die Parlamentsmehrheiten – erscheint Mörgelis Behauptung mehr als lächerlich:
Tatsache ist, dass National- und Ständerat seit jeher von einer bürgerlichen Mehrheit dominiert werden.
Ernst Niederhauser, Sennwald
Da stellt sich die Frage: Hatten nicht die Bürgerlichen in den vergangenen Jahrzehnten die absolute Mehrheit im Bundesrat, im Nationalrat und Ständerat? Trägt nun die Minderheit die Verantwortung für die von Mörgeli zitierten Zustände im Land?
Walter Schärlig, Flims Waldhaus
Wenn also die „Linken“ den Staat auf eidgenössischer und kantonaler Ebene gängeln (auch in Bern sind für alles die Linken schuld, obwohl ich mich nicht erinnern kann, wann diese im Kantonsparlament jemals die absolute Mehrheit besassen), ohne überhaupt die dazu nötigen Mehrheitsverhältnisse zu besitzen, sollte man im Herbst jeden Bürgerlichen für die seit Jahrzehnten andauernde Dummheit abwählen: Gemäss den in diesen Kreisen quasi-religiös verehrten marktwirtschaftlichen Prinizipien sollte man „marktwirtschaftliches“ Verhalten auch von den politischen Exponenten, oder zumindest von deren Parteien, erwarten können; sprich: Mit möglichst wenig Aufwand das Bestmögliche erreichen. Wäre es nicht äusserst peinlich, gerade in dieser bürgerlich-liberalen Kernkompetenz von „Sozialisten, Linken und Netten“ vorgeführt zu werden? Vorausgesetzt, Mörgeli hat in seiner Argumentation recht – denn daran hege ich gewisse Zweifel.
Zwingend nötig: Definition des „guten Bundesrates“
Die Diskussion wurde vom Zaun gebrochen, ohne dass einer der beiden Streithähne eine allgemeingültige Definition eines „guten Bundesrates“ geliefert hätte (selbstverständlich liefert die Lektüre der beiden Texte ein gewisses Bild vom „Prototyp des guten Bundesrates“). Dabei wäre doch dies gerade das wissenschaftliche Vorgehen: Ich definiere zuerst, was gut ist, und untersuche dann, ob das Probeexemplar, in diesem Falle Bundesrat Christoph Blocher, den theoretisch festgelegten Kriterien genügt.
Die Autoren tun es nicht; weshalb uns ein Leser auf die richtige Fährte führen muss:
Blocher vertritt die Interessen seiner Partei. Und dies als Bundesrat in einem Gremiuim, das die Interessen des ganzen Landes zu vertreten hätte.
Jakob Hertach, Dielsdorf
Ich schliesse mich an, dass Bundesräte weniger Partei- als viel eher Sachpolitik betreiben müssten – mit dem Ziel, das ganze Land weiter zu bringen (was, leider Gottes, eigentlich auch wieder eine Definition von „weiter“ benötigen würde. Endziel: momentan unbekannt). Natürlich – und da gebe ich auch Einwänden von Seiten der SVP recht, heisst „das Land voranbringen“ nicht zwingend, den „Status quo“ zu verteidigen. Es kann ja durchaus sein, dass sechs der sieben Landesväter und -mütter vollkommen falsch liegen. In einem solchen Fall ist es die Pflicht eines Patrioten, gegen den Strom zu schwimmen. Die Frage ist nur: Lief im Bundesrat derart viel falsch, dass es einen Blocher benötigte?
Gut muss sein, was früher war!
Die SVP, eine äusserst konservative Partei, die sich als Hüterin des Patriotismus‘ und der Jahrhunderte alten Werte der Schweiz sieht, scheint gerade bezüglich der Definition des „guten Bundesrates“ fabrikneuem Firlefanz anzuhängen.
Auch wenn ich mich kaum mit Bundesratsgeschichte auskenne: Ganz zu Beginn war das Gremium männlich, alt – und einparteiisch. Im Laufe der Zeit erschlossen die Kräfte des Marktes auch die letzte Bastion der Politik, den Bundesrat. Auch hier zog nun der Konkurrenzkampf ein, getreu dem Credo der Liberalen, dass nur die Konkurrenz zu den besten aller Resultaten führe, geleitet von der unsichtbaren Hand, die uns in der Wirtschaft Mono- und Oligopole en masse beschert hat. Lustigerweise nur im Bundesrat nicht. Die Gründerväter standen anfänglich mehr oder weniger freiwillig zurück, um Leuten mit einer anderen Gesinnung Platz zu machen. Die Eigendynamik der nächsten hundert Jahre führte zu einer kontinuierlichen Dezimierung der einstigen Machthaber – total vier Parteien liess man schlussendlich an der Macht teilhaben. In tränenrührender Manier muss man – auch wenn man Freisinnige aus unerklärlichen Gründen nicht mögen sollte – zugeben, dass diese Selbstaufgabe seinesgleichen sucht. „Wir sterben, damit diejenigen nach uns leben können“, höre ich die scheidenden FDP-Bundesräte in filmreifer Manier der holden Maid, Helvetia genannt, ins Ohr hauchen.
Und trotz der wachsenden Konkurrenz hat es der Bundesrat die letzten 150 Jahre geschafft, sich (mehrheitlich) kollegial zu verhalten und Anliegen als Gruppe und nicht als Einzelkämpfer zu vertreten.
Zurück zur SVP: Wären nicht dies diejenigen Werte, die ein wahrer Bundesrats-Patriot zu berücksichtigen hätte? Hat nicht gerade ein solcher Bundesrat die Nation geformt, auf die ebendiese „Volkspartei“ heute so stolz ist?
Und: Was ist nun ein guter Bundesrat, aus traditionalistischer Sicht gesehen? Gar keiner, weil vor 1848 alles am Besten war? Ein freisinniger, älterer Mann, wie es jeder Bundesrat zwischen 1848 und 1891 war? Oder entscheidet man sich doch eher auf die äusserst junge Zauberformel von 1959 bis 2003? Dann wäre da schliesslich noch der Mischmasch zwischen 1891 und 1959, der mehr schlecht als recht typisiert werden kann.
Traditionen bedeuten Konstanz in Zeiten des Umbruchs – doch gerade beim schweizerischen Bundesrat vermag ich diese Konstanz nicht zu erkennen. Für welche „traditionelle“ Begründung man sich bei der SVP auch entscheidet – den Status Quo lässt sich momentan nicht mit Blick in die Vergangenheit rechtfertigen. Auch frage ich mich zuweilen, ob die Traditionalisten in der Reihen dieser Partei wirklich die Konsequenzen einer Eidgenossenschaft tragen wollen: Ein dutzend verschiedene Meinungen? Das ist irgendwie nicht der Eindruck, den ich von dieser Partei habe. In den SVP-Köpfen träumt man doch seit der Ära Blocher/Mörgeli/Schlüer/Fehr vom absoluten Mehr und einer lauten, führenden Stimme – ohne Zwischentöne.
Zu guter Letzt
[…] Fürwahr, es sollten sieben Blocher im Bundesrat sitzen.
Manuel Wettstein, Stäfa
Was für eine grandiose Idee. Ich wage die These, dass Blocher sein Spiel nur spielen kann, weil er eben der einzige ist, der den anderen so richtig auf der Nase herumtanzt. Würden wir die anderen Sechs mit Personen austauschen, die ähnliche Charaktereigenschaften wie der Christoph vom Herrliberg aufwiesen, würde die Schweiz wohl auf einen Schlag unregierbar werden. Querschläger und Unruhestifter können – durchaus auch im guten Sinne – korrigierend auf ein Gremium einwirken – aber nur dann, wenn das von solchen Querulanten angerichtete kreative Chaos dann von Fachmänner und -frauen in geregelte Bahnen gelenkt wird.