Montag, 28. Mai 2007
Die Tamedia AG lieferte uns Konsumenten für’s lange Pfingst-Wochenende gleich zwei Artikel in unterschiedlichen Medienerzeugnissen, die das Thema Sexualität in seiner Perversion sowohl für Kinder wie auch Frauen beleuchteten:
Die neugierigen Kinder
Verbotene Pornobilder und Gewaltszenen auf den Handys – bisher hatte die Polizei in solchen Fällen mit Teenagern zu tun. Neuerdings ermittelt sie gegen Kinder. «Das ist sehr verbreitet. Leider finden wir das heute auch auf Primarschulstufe», sagt Rolf Nägeli vom Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich.
Quelle: Handy-Pornobilder: Polizei ermittelt gegen Achtjährige (SonntagsZeitung vom 27. Mai 2007)
Es ist ja nicht so, als würde man sich in der Nacht vom 15. auf den 16. Geburtstag urplötzlich dafür interessieren, wie man selber entstanden ist und was die Eltern Samstag-Abends mit viel Lärm hinter verschlossenen Türen treiben. Die Neugierde ist einer der grössten (An)trieb(s)kräfte der Menschheit – die Frage ist aber in der Tat, wie weit diese Befriedigung (sic!) für Unmündige gehen darf und kann. (Nebenbei: Kinder sind immer noch Abbilder der Erziehungsberechtigten und der restlichen Gesellschaft)
Wer haftet?
Aus meiner Sicht ist klar: Da kein Laden Personen in diesem Alter Mobiltelefone, geschweige denn ohne Unterschrift der Eltern ein Mobilfunkabonnement verkaufen darf, haften primär die Eltern für Klingeltöne, Bilder und Videos auf den Handys ihrer Sprösslinge.
Die Lösung
Hätte ich (bereits) Nachwuchs, würde ich mir diese Erziehungsaufgabe relativ einfach machen: Entweder würde ich meinen Gofen schlicht und ergreifend bis zu einem gewissen Alter (und das sind definitiv nicht acht Lenze!) kein Handy kaufen. Oder aber – wenn ich das anflehende Geschrei nicht mehr aushalten würde – dann eines dieser uralten, vergammelten, aber nicht tot zu kriegenden Nokia 3210. Selbst wenn ich dieses aus dem tiefsten Ostblock oder aus der Nähe der Quellen des Nils her importieren müsste. Die Kinder könnten mich damit im Notfall kontaktieren oder ihren Gspändli Gute-Nacht-SMS schicken. Mangels Farbdisplay, Speicherplatz und genügend schnellem Prozessor wäre das Thema Pornovideos und geköpfte Tschetschenen gegessen, bevor es sich überhaupt manifestiert hätte.
Spielverderber
Leider befürchte ich aber, dass gerade SUV-fahrende Mütter mit Louis-Vuitton-Täschchen ihren Töchterchen und Sohnemännern kaum ein Handy-Modell Typ „Trabi“ zumuten würden. Womit der Rüstungswettkampf seinen Anfang nähme … (Wobei zur Entlastung dieser Gesellschaftsschicht gesagt werden muss: Nach Schulschluss steht wenigstens die Nanny bereit, um die Kinder von perversem Material abzuschirmen. In Unterschichtshaushalten hingegen schuften beide Elternteile bis in die Nacht hinein. Dort spielt das den Jünglingen vermachte Luxusmodell unter den Handys Kompensationsobjekt für mangelnde Nähe zu den Eltern).
Frauen
Auch Alice Schwarzer gibt uns (Männern) im Samstags-Magazin so mächtig was auf die Birne. Dank der guten Arbeit von den schweiz-stämmigen informations Architects iA aus Tokyo gibt es den polemischen Artikel in seiner Ursprungsform als Wiki im Netz. Einige Kommentare von meiner Seite:
So fanden sich im März 2007 in der Internet-Suchmaschine Google unter dem Stichwort «Sex» 377 Millionen Links, bei Yahoo 499 Millionen, und unter «Pornography» 17 Millionen Links, bei Yahoo 80 Millionen!
Quelle: Ruferin gegen das Wüste
Äuäää?! Dabei ist es doch ein offenes Geheimnis, dass wir „es“ höchstens jedes Schaltjahr einmal tun. Wieso sollte solchen Dingen ein derart hoher Stellenwert im Netz eingeräumt werden? Ich sehe die morgige Blick-Schlagzeile bereits vor mir: „Das Wort ‚Essen‘ findet sich bei einer Google-Suche auf über eine Milliarde Web-Seiten. Alice Schwarzer fordert: Verbietet das Essen!“
Ich mag es langsam nicht mehr sehen: Kaum ein Journalist eines Wochenmagazins, der in seinem Artikel nicht mindestens einmal die Zahl der Suchresultate eines Begriffs auf Google herunterleiert … und damit quasi-wissenschaftlich noch irgendwelche Zusammenhänge beweisen will.
Zusätzlich alarmierend: Nicht nur die sexuelle Kommunikation, auch das allgemeine Einfühlungs- und Mitleidensvermögen sinkt bei den KonsumentInnen von Pornografie rapide […]
Ich wage zu bezweifeln, dass Pornos die Ursachen allen heutigen Übels sind. Sie sind eher ein Sympton, eine beiläufige Nebenerscheinung, des Wandels der Gesellschaft an dessen Ursprung ich die liberale Gesellschaftsordnung und den Kapitalismus sehe – was keine Wertung sein soll.
Nachtrag: In einem Kommentar auf den Artikel schreibt Hanspeter Gysin in meine Kerbe schlagend:
[…] Aber, setzen Sie doch Ihre Thesen auch einmal in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang. In einer vom Neoliberalismus geprägten Welt ist Empathie nur ein Karrierehinderungsgrund.
Noch zugespitzter sinniert Peter Lohri:
[…] Zum andern aber ist all das ja die Frucht einer unheiligen Allianz zwischen rein gewinnorientierten Wirtschaftsliberalen und denjenigen Exponenten der (vornehmlich linken) Intelligenzija, welche – in einer unglaublich undifferenzierten und naiven Interpretation des Mündigkeitsbegriffes – während der letzten vier Jahrzehnte eben nirgendwo „Halt“ zu sagen wagten, sondern a priori alles als des Teufels ansahen, was auch nur im Entferntesten als Infragestellung des Primats der individuellen Freiheiten erschien.
Quelle: Kein Katharsis-Effekt beim Pornokonsum
Neben den sogenannten Features, in denen die Geschlechtsakte noch mit einer dürftigen Story bemäntelt sind, machen heute vor allem Gonzos Kasse: In Gonzos wird nur noch gerammelt, in alle Löcher und in Nahaufnahme.
Wer hätte das gedacht – immerhin etwas habe ich aus diesem Artikel gelernt.
PädagogInnen berichten heute von sechsjährigen Jungs, die Vergewaltigung spielen, und elfjährigen Mädchen, die beunruhigt sind, weil sie noch nie Sex hatten.
Naja, im alten Rom waren die Mädchen demzufolge wohl beunruhigt, wenn sie mit 12 Jahren noch nicht unter der Haube waren:
Da man in Rom das früheste Heiratsalter für Mädchen auf zwölf Jahre festgelegt hatte, war daran nichts Ungewöhnliches.
Quelle: Cornelia, Mutter der Gracchen
Die von Psychologen und Neurologen konstatierte Brutalisierung des sexuellen Begehrens hat epidemische Ausmasse.
Auch wenn ich (noch) nicht in die Schlafzimmer der Verwandten und Bekannten blicken kann: Von solch „epidemischen Ausmassen“ scheint mein Bekanntenkreis bisher verschont geblieben zu sein. Wer weiss, vielleicht werden wir ja vorher von der Vogelgrippe oder der Klimaerwärmung dahingerafft …
Böse Frage
Einmal angenommen, Frau Schwarzer hätte wirklich Recht: Ginge es Frauen noch schlechter, als es ihnen in der ganzen Existenz der Menschheit gegangen ist? „Küchenunfälle“ in Palästina? Wittwenverbrennungen in Indien? Zwangsheiraten von in der Schweiz lebenden Türkinnen oder Inderinnen? Beschneidungen in Schwarzafrika? Mir scheint es unter der Faktenlast fast, als wäre auch das liberale Gesellschaftsmodell nicht das Paradies für Frauen. Trosteshalber sei gesagt: Für Männer irgendwie auch nicht wirklich …
Es wird wohl Zeit, dass die Frauen sich ihre Welt für einmal selbst erschaffen. Für ein paar Jahre nur.
Nachtrag
Mittlerweile hat auch der Guardian eine ausführliche Reportage online gestellt, geht aber deutlich weniger polemisch und hemdsärmlig ans Werk als Schwarzer:
Men and porn