Montag, 18. Juni 2007
Nun haben wir sie also hinter uns, die Abstimmung zur 5. IV-Revision. In der Volksbefragung äusserten knapp 60 Prozent der Stimmenden ein „Ja“ zur Vorlage.
Die 40% Gegenstimmen sind aus meiner Sicht ein Achtungserfolg – es gab ja durchaus auch Abstimmungen zu gewissen Anliegen, wo den Befürwortern nur 30% gegnerische Stimmen gegenüberstanden. Wie Patrick Feuz heute im Bund kommentierte, mag die Abstimmung auch deshalb unproblematisch „durchgeflutscht“ sein, weil viele Stimmbürger wohl nie in ihrem Arbeitsleben auf diese Versicherung werden zurückgreifen müssen. Ob Anpassungen an der AHV so locker durchgewunken würden, erachte ich als fraglich.
sf.tv: Zeigt sich darin nicht auch ein grundsätzliches Problem: Viele Nicht-Betroffene entscheiden über vergleichsweise wenige Betroffene.
Claude Longchamp: Sicher, ja. Die direkt betroffenen IV-Bezüger entsprechen ungefähr einem Anteil von 6 Prozent an der Bevölkerung – rechnet man ihr Umfeld hinzu, sind es vielleicht 20 Prozent. Von daher wäre es schon wichtig gewesen, wenn sich jeder überlegt hätte, ob er selbst einmal auf die IV angewiesen sein könnte. Dazu ist es offensichtlich nicht gekommen.
Quelle: «Wenige IV-Bezüger = hohe Zustimmung»
Schrotschussmethode unangebracht
Ich persönlich habe ein Nein in die Urne gelegt. Nicht etwa, weil mein Parteibüchlein dies so von mir gefordert hätte und ich prinzipiell gegen Abbauvorhaben bei den Sozialwerken bin. Nein, mich hat gestört, dass man denjenigen Personen (und deren Verwandten) Leistungen kürzt, die offensichtlich Zielgruppe dieser Versicherung sind: Die Behinderten. Wieso das Parlament hier nicht fähig war, eine ausgewogenere Lösung zusammenzuzimmern, die den Missbrauch der IV (durch Arbeitnehmer und -geber, was oft vergessen geht!) verhindert, die wirklich Bedürftigen aber vor Sparmassnahmen verschont, ist mir schleierhaft. Die IV hat ihre Berechtigung und sollte den Bezügern ein menschenwürdiges Leben nach schweizerischen Massstäben erlauben.
Seien wir realistisch!
Dass die Sozialwerke umgebaut und den Umständen der Zeit angepasst werden müssen, entspricht meiner vollen Überzeugung. Dieser Entscheid basiert aber nicht auf Partei-Ideologie, sondern hat damit zu tun, dass ich ein junger Schweizer bin, dem die Sozialwerke wichtig sind. Ich empfinde diese als Errungenschaft, die es zu bewahren gilt – dermassen, dass ich während meiner ganzen beruflichen Laufbahn und bei meiner Rente von meinen Einzahlungen profitieren kann. Gleichzeitig anerkenne ich aber, dass es äusserst töricht wäre, Sozialwerke mit Annahmen zu betreiben, die vor zig-Jahrzehnten einmal Gültigkeit hatten. Zum Beispiel, dass 1947 viel weniger Arbeitnehmer das Rentenalter überhaupt erreichten; heute hingegegn die meisten noch zehn oder gar fünfzehn äusserst sonnige Jahre vor sich haben.
Aussagen der von mir als Pragmatiker eingestuften NZZ beruhigen mich mit Blick auf die Ankündigung der 6. Revision durch Ueli Maurer:
Wie immer behauptet die SVP einen massiven Missbrauch der IV, ohne das Ausmass allerdings belegen zu können. Hingewiesen wird auf Einzelfälle, die in den Augen der SVP die Spitze des Eisbergs ausmachen. Scharf gewürzt wird das Papier mit Schlagwörtern: Neben den «Scheininvaliden» und der «Balkanisierung» ist auch von der «Edelsozialhilfe für unintegrierte Ausländer» die Rede.
Quelle: SVP-Marschtabelle für eine 6. IV-Revision
Liebe SVP, zuerst schauen wir einmal, wie sich Revision Nummer 5 bewährt! Ich hege weiterhin die Hoffnung, dass radikalste Abbaumassnahmen Typ SVP bei einer Abstimmung keine Mehrheit finden würden.
Alle in einen Topf?
Nicht alle, die gestern Ja gestimmt haben, sehen dies so wie ich – unter den Befürwortern gibt es einerseits die Pragmatiker, und andererseits die Hardliner, die die IV am liebsten gleich ganz abschaffen würden. Ebenso gibt es in der Reihe der Gegner der Revision unterschiedliche Auffassungen – solche, die jeglichen „Sozialabbau“ verhindern wollen, und solche, denen ein bestimmter Punkt in der Vorlage sauer aufgestossen ist. Deshalb finde ich es immer wieder äusserst ulkig, wenn Parteipräsidenten jedwelcher Couleur in der Elefantenrunde (gab es gestern eine?) verallgemeinernd verkünden, was ausnahmslos alle Ja- (oder Nein-)Wähler mit ihrem Entscheid bewirken wollen. Oftmals sind es einige Faktoren, die auf ein Resultat einwirken, weshalb dann weder ein Hans-Jürg Fehr noch ein Ueli Maurer die alleinige Interpretationsmacht für sich in Anspruch nehmen sollten.
Wie weiter?